Wolfsschatten - Handeland, L: Wolfsschatten
Doc.“
Ich hoffte nur, dass sie noch dort waren.
Ich begab mich auf direktem Weg zu Claires Büro. Sie musste darüber informiert werden, womit wir es zu tun hatten. Dumm nur, dass ich es selbst nicht wusste.
An einem gewöhnlichen Tag warteten ständig ein paar Wähler im Vorzimmer, bis sie ihnen einen Moment ihrer Zeit schenkte. Heute war niemand da, was mir komisch hätte vorkommen müssen, wäre ich nicht auf einer Mission gewesen.
„Grace!“ Claires Assistentin, Joyce Flaherty, hechtete zwischen mich und die Bürotür. „Sie ist in einem Meeting.“
„Jetzt nicht mehr.“ Ich machte einen Schritt nach rechts, Joyce tat es mir nach.
Mit zusammengekniffenen Augen schätzte ich ein, ob ich es mit ihr würde aufnehmen können. Eher nicht.
Joyce war mindestens einen Meter achtzig groß und besaß die Statur des Holzfällers, der ihr Vater gewesen war. Obwohl ihr Haar noch genauso dunkel war wie am Tag ihrer Geburt, schätzten die meisten ihr Alter zwischen prähistorisch und antik ein.
Sie hatte als Sportlehrerin an einer Highschool unterrichtet, bevor sie die Assistentin des Bürgermeisters, Claires Vater, geworden war. Joyce hatte sowohl Claire als auch mir die meiste Zeit unseres Lebens die Mutter ersetzt, und sie würde sich von keiner von uns irgendetwas bieten lassen.
„Es ist ein Notfall.“ Ich machte einen Ausfallschritt nach links.
Joyce kopierte die Bewegung. „Kann es nicht warten?“
„Welchen Teil des Wortes ‚Notfall‘ verstehst du nicht?“
„Willst du mir wirklich sarkastisch kommen, Grace?“, fragte sie mit trügerischer Ruhe.
Ich schluckte schwer. „Nein, Ma’am.“
„Das dachte ich mir. Jetzt pflanz dich auf deinen Hintern und warte, bis Claire fertig ist.“
Ich wandte mich von der Tür ab. Joyce kehrte an ihren Schreibtisch zurück, woraufhin ich mich blitzschnell umdrehte und die Bürotür öffnete. Eine Sekunde später zog ich sie wieder zu. Mir hätte ein Licht aufgehen müssen, als ich von draußen die geschlossenen Jalousien vor den Fenstern bemerkt hatte.
„Ich hatte dich gewarnt“, murmelte Joyce mit hämischer Genugtuung.
„Meine Augen.“ Ich bedeckte sie mit meiner Hand. „Ich bin blind.“
„Pech für dich.“ Joyce begann in einem Ratt-a-tat-tat-Rhythmus, der meine brandneuen Kopfschmerzen noch verschlimmerte, auf ihre Computertastatur einzuhacken.
Claires Bürotür flog auf. Mit finsterer Miene knöpfte sie ihre Bluse zu und winkte mich herein.
„Du hast einen ausgelassen.“ Ich deutete auf eine klaffende Lücke zwischen ihren Brüsten, die enthüllte, dass sie vergessen hatte, ihren BH anzuziehen. Vielleicht hatte sie ihn auch verlegt.
Mit einem Finger angelte ich das spitzenbesetzte Wäschestück unter dem Besucherstuhl hervor. Claire riss es mir aus der Hand und stopfte es in eine Schublade.
Malachi lehnte, abgesehen von seinen nackten Füßen vollständig bekleidet, an der Wand. Er zog eine Braue hoch und zuckte die Achseln. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen.
Claire kniete sich auf den Boden und sammelte die Papiere und Stifte ein, die ein Wirbelsturm von ihrem Schreibtisch gefegt zu haben schien – wahlweise ein Arm.
Ich unterdrückte ein sehnsuchtsvolles Seufzen. Ich wünschte, ich hätte auch einen Mann, der für ein mittägliches Schäferstündchen in meinem Büro aufkreuzen würde – auch wenn die Mittagszeit längst vorüber war.
Der Gedanke katapultierte mich zurück in die Realität. Ich hatte dringendere Probleme als mein Liebesleben, das sich im Übrigen gerade von armselig zu fantastisch entwickelte.
„Schließt nächstes Mal die Tür ab“, bemerkte ich.
„Behalte du nächstes Mal deinen Hintern draußen, bis du reingebeten wirst“, fauchte Claire, deren helle, schottische Haut tomatenrot angelaufen war.
„Wo ist das Baby?“
Mal deutete auf den Autositz, der von dem Schreibtisch verborgen gewesen war.
Ich schnappte nach Luft. „Wird das keinen irreparablen psychischen Schaden bei ihm anrichten?“
„Er schläft, Grace.“
„Oh.“ Ich wusste nichts über Babys. Außer dass ich selbst welche wollte.
„Was ist so wichtig, dass du unaufgefordert hereinplatzen und die einzige private Zeit, die wir seit Wochen hatten, unterbrechen musstest?“
„Tut mir leid“, sagte ich und verstummte.
„Möchtest du, dass ich gehe?“, wollte Mal wissen.
„Nein. Du solltest lieber bleiben. Wir haben nämlich ein Problem mit … “ Ich brach ab. Ja, womit eigentlich?
Claire hörte auf, ihren
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