Wolfstage (German Edition)
Menschen. Das muss man akzeptieren.«
Johanna nickte nachdenklich. Und es gibt Menschen, denen grundsätzlich
der Wind ins Gesicht bläst.
»Herr Hildmann, es ist gut möglich, dass Henrik sich in der
Tagungsstätte mit den falschen Leuten eingelassen hat«, erläuterte sie
schließlich.
»Wie meinen Sie das denn?« Er schüttelte den Kopf. »Taschner ist ein
anerkannter Geschäftsmann – man mag seine Überzeugungen nicht
hundertprozentig teilen, aber …«
Johanna beugte sich vor. »Hören Sie, Herr Hildmann, in der
Reitlingstaler Tagungsstätte gibt es ein paar junge Männer, die mit Armbrüsten
bewaffnet den Elm unsicher machen. Inwieweit Taschner persönlich mit diesen
Vorgängen zu tun oder darüber Kenntnis hat, ohne dagegen einzuschreiten, lässt
sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht sagen. Fest steht, dass die jungen
Männer auf Wild und Wölfe schießen – auf die ganz besonders. Und nicht nur
das: Sie töten. Das gehört zu ihrem Gruppenritual.«
Hildmann starrte sie aus weit aufgerissenen Augen an.
»Ihr Sohn Milan wurde mit einem Pfeil getötet, der Henrik gehört«,
fuhr Johanna fort. »Der genaue Ablauf des Geschehens kann noch nicht bis ins
Detail rekonstruiert werden, aber es steht fest, dass Milan nach einem Streit
mit Henrik heimlich dessen Gruppe in den Elm gefolgt ist und dort nachts von
einem Armbrustbolzen getroffen wurde. Außerdem besteht ein Zusammenhang mit
zwei anderen Fällen, in denen ich zurzeit ermittele.«
»Das kann ich nicht glauben«, flüsterte Hildmann. Er war schneeweiß
geworden.
»Das sollten Sie aber. Und wenn Sie etwas für Ihren Sohn tun wollen,
dann überzeugen Sie ihn davon, ein umfassendes Geständnis abzulegen und Namen
zu nennen. Ich glaube nicht, dass Henrik ein kaltblütiger Mörder ist, aber er
ist auf einem sehr unguten Weg. Und er braucht Sie und Ihre Frau. Mehr als je
zuvor in seinem Leben.«
Hildmann erhob sich langsam. Er stützte die Hände auf den Tisch und
sah die Kommissarin blicklos an. Johanna hatte Mühe, das Schweigen zu ertragen.
»Was soll ich tun?«
»Besorgen Sie ihm einen guten Anwalt. Nehmen Sie keinen von
Taschners Leuten.«
Hildmann atmete tief aus. »Gut, ich kümmere mich darum.«
Er war schon an der Tür, als Johanna noch etwas einfiel.
»Eine Frage noch: Sind Henrik und Milan am Samstag noch mal zu Ihnen
nach Hause gefahren, bevor sie sich zusammen auf den Weg machten?«
Alexander Hildmann drehte sich langsam um. »Ja. Milan wollte noch
seine Jacke holen, die hatte er vergessen. Und rasch eine Mail schreiben.«
»An wen?«
»Ich glaube, er wollte Volker mailen.«
Johanna stutzte. »Warum das denn? Sie hatten doch die ganze Zeit
zusammengesessen.«
Hildmann rieb sich über die Stirn. »Es ging um die Tagungsstätte.
Milan war in der Tat total aufgebracht. Er hatte Infos, wie er sagte, die er
Volker mailen wollte – dann würde der hoffentlich keinen Gedanken mehr
daran verschwenden, dort aufzutreten. Ja«, Hildmann nickte, »er meinte noch,
dass ein Geschäftsführer der Autostadt schließlich einen Ruf zu verlieren habe …
oder so ähnlich.«
»Und Henrik hat das mitbekommen?«
»Gut möglich – Milan hat jedenfalls nicht geflüstert. Ich hab
ihm noch gesagt, er soll nicht so einen Aufstand machen.«
»Und Sie wissen nicht, was das für Infos waren?«
»Nein. Ich habe dem Ganzen keine große Bedeutung beigemessen. Das
war wohl ein Fehler.« Hildmann biss sich auf die Unterlippe und legte die Hand
auf die Klinke. »Aber den kann ich nicht mehr rückgängig machen. Ich fand die
Streiterei albern und auf Volkers Geburtstagsfeier besonders überflüssig.«
Johanna stützte das Kinn in ihre Hand. Die Tür fiel ins Schloss. Sie
griff nach dem Telefon. Bei den Seiberts hob niemand ab. Es sollte Menschen
geben, die um diese Zeit ins Bett gingen oder vor dem Fernseher eingeschlafen
waren. Johanna seufzte. Ihr Handy klingelte, als sie es gerade einstecken
wollte.
»Chefin, hier tut sich was«, sagte Colin Sander. »Sie sind zu zweit
losgefahren. Bischoff und Peters.«
»In einem Wagen?«
»Ja. Sollen wir uns dranhängen?«
»Natürlich. Aber sie dürfen auf keinen Fall merken, dass sie
beobachtet werden.«
»Wir geben uns Mühe.«
»Ich hoffe, das reicht.«
»Ich auch.«
»Melden Sie sich zwischendurch!«
»Okay, Chefin.«
Johanna kochte frischen Kaffee und begann mit dem Bericht für ihre BKA -Vorgesetzte Magdalena Grimich. Es war albern, aber
es gefiel ihr, dass Colin Chefin zu ihr sagte.
***
Übelkeit. Sie
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