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Wolfstage (German Edition)

Wolfstage (German Edition)

Titel: Wolfstage (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Kuck
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Seibert ihm gespritzt? War das jetzt noch wichtig?
    Seibert packte ihn an Hemd und Hosengürtel und setzte ihn auf. Tibor
wurde es für einen Moment so schwindelig, dass er befürchtete, sich übergeben
zu müssen. Er atmete tief durch. Seibert lehnte ihn mit dem Rücken an die Wand
unter einem Fenster und holte ein Glas Wasser. Er lockerte die Fesseln an den
Handgelenken, sodass Tibor das Glas selbst halten und trinken konnte.
    Der Glasrand färbte sich rot, aber das war ihm egal. Er stürzte das
Wasser hinunter, bat um Nachschub und blieb schließlich schwer ein-und
ausatmend sitzen. Eine Weile hörte man nur das. Schließlich sah Tibor Seibert
an.
    »Warum das alles?«, fragte er. »Was wollen Sie von mir?«
    »Ich will, dass du verschwindest, und zwar endgültig.«
    »Das hatte ich ohnehin vor. Ich bin kein Fan von Kleinstädten.«
    »Du verkennst die Situation.« Volker Seibert setzte sich wieder in
den Sessel und fixierte ihn plötzlich scharf.
    »Es war dir ja damals bereits klar, dass viel für mich, viel für uns
auf dem Spiel stand. Und weißt du was? Heute ist die Situation ganz ähnlich. Du
bist zu einem sehr ungünstigen Zeitpunkt wieder hier aufgetaucht.«
    Tibor starrte ihn verwirrt an. Was redete er da?
    »Ich habe deinen Freund lange befragt. Er hat geleugnet, dass es
einen Komplizen gab, und beharrte darauf, die Fotos ganz allein gemacht zu
haben – mit Selbstauslöser. Das schien mir zwar fragwürdig, weil es sehr
gute Fotos waren und zudem dein Name auf dem Fotoapparat stand, aber du hattest
die Stadt verlassen, und er versicherte mir, dass die Kamera ein Geschenk von
dir wäre und du von nichts wüsstest. Nach all den Schmerzen, die ich ihm
zugefügt hatte, war ich geneigt, ihm zu glauben. Das war wohl ein Trugschluss,
den ich nun nach zehn Jahren ausbügeln muss. Unerfreulich, aber kein wirkliches
Problem.«
    Tibor spürte, wie sich seine Kopfhaut zusammenzog. Und sein Herz.
Auf einmal verstand er zugleich alles und nichts.
    »Sie haben Steffen getötet.«
    »Natürlich. Was dachtest du denn? Und ich habe versäumt, dich
aufzuspüren und auch zu töten, weil ich dachte, der Junge kann gar nicht lügen,
so übel, wie ich ihm mitgespielt hatte. Außerdem – ein mieser schwuler Erpresser für eine Stadt wie Königslutter sollte ausreichen,
findest du nicht? Nun habe ich durch Zufall erfahren, dass ihr das Ding damals
doch zu zweit durchgezogen habt – Steffen selbst hat deinen Namen
seinerzeit ins Spiel gebracht, wo und warum ist nicht von Bedeutung. Fest
steht, dass du fotografiert hast und jetzt – ausgerechnet jetzt –
zurückgekehrt bist, um herumzuschnüffeln, Unruhe zu stiften und vielleicht
sogar abzukassieren, nachdem der Coup damals nicht gelungen ist.«
    Sein Hass loderte so heftig hoch, dass Tibor erschrak.
    »Was? Um Gottes willen, nein! Sie irren sich. Meine Mutter ist
gestorben, und ich wusste doch gar nicht …«
    Seibert war mit zwei Schritten bei ihm. Er riss Tibor am Kragen
hoch, rammte ihm die Faust in den Magen und dann mit genüsslicher Wucht das
Knie in den Unterleib. Tibor brach zusammen und übergab sich würgend. Seibert
ließ ihn liegen und setzte sich wieder.
    »Hör lieber auf, mir irgendwelchen Mist zu erzählen«, riet er ihm in
beiläufigem Ton. »Ich habe Kraft für drei, und es bereitet mir einen
wahnsinnigen Spaß, dich für die Geschichte büßen zu lassen, auch wenn sie schon
so lange zurückliegt. Und Schwule sind mir – trotz der gesellschaftlichen
Toleranz, die ihr inzwischen landauf, landab genießt – einfach suspekt.
Ich kann nichts dafür: Ich finde euch eklig.«
    Tibor keuchte.
    »Warum bist du damals abgehauen? Die Frage interessiert mich. Oder
bist du gar nicht abgehauen? Jedenfalls hast du kein Geld bekommen, das habe
ich Steffen ja abgenommen. Wie hast du dir erklärt, dass er so plötzlich
verschwand? Ich denke mal, du bist davon ausgegangen, er hätte sich
klammheimlich aus dem Staub gemacht und dich um deinen Anteil betrogen,
stimmt’s?«
    Tibor bekam nur quälend langsam wieder Luft. Er stützte sich auf dem
Ellenbogen ab und stemmte sich mühsam wieder hoch.
    »Ich wusste nicht, was er mit der Kamera vorhatte«, keuchte er leise
und hielt sich mit angewinkelten Armen den Leib. »Sie können mich totschlagen,
aber so war es! Er wollte sie unbedingt haben, um ein paar Aufnahmen zu machen,
so sagte er, und ich habe sie ihm geliehen, ohne mir irgendwas dabei zu denken.
Er hat sie einfach behalten. Dann musste ich abreisen, weil ich einen

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