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Wolfstage (German Edition)

Wolfstage (German Edition)

Titel: Wolfstage (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Kuck
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bahnte sich durch den dumpfen Kopfschmerz
einen Weg zum Magen. Oder umgekehrt. Tibor wollte sich über die Schläfen
streichen, aber er konnte die Hände nicht bewegen. Als er die Augen öffnete,
schnellte die Erinnerung wie ein plötzlich von der Sehne losgelassener Pfeil
auf ihn zu. Er zuckte zusammen. Die Erschütterung schmerzte bis in die Zehen.
Im gleichen Augenblick spürte Tibor die Fesseln an Händen und Füßen und das
Klebeband über dem Mund.
    »Kommst du langsam wieder zu dir? Ich dachte schon, ich hätte dich
völlig ausgeknockt«, ertönte eine Stimme über ihm. Eine sympathische Stimme.
    Tibor lag ausgestreckt auf dem Fußboden im Wohnzimmer. Licht fiel
nur aus dem Flur in den Raum. Die Rollläden sind heruntergelassen, dachte er
und versuchte, sich zu orientieren. Also war es wahrscheinlich nach acht Uhr
abends und vor sieben Uhr früh: Der Timer war so eingestellt, dass sich die
Läden automatisch schlossen und morgens wieder nach oben ratterten. Seine
Mutter hatte sich über die Verlässlichkeit des Mechanismus immer gefreut. Was
für ein absurd unwichtiger Gedanke.
    Der Mann saß im Sessel vor ihm und betrachtete ihn mit einer
Mischung aus spöttischem Mitleid und objektivem Interesse. Tibors Herz begann
abrupt, wie verrückt zu rasen. Irgendetwas war dabei, ganz beträchtlich
schiefzulaufen. Er musste würgen.
    »Wir haben noch was vor.« Der Mann sah ihm in die Augen. Er lächelte
freundlich. »Möchtest du wissen, was?«
    Tibor zwinkerte.
    Der Mann nickte. »Natürlich möchtest du das wissen. Wir werden einen
Ausflug machen.«
    Tibor atmete bewusst langsam und tief ein und aus. Der Kopfschmerz
war immer noch betörend intensiv, aber sein Gehirn setzte allmählich wieder
ein. Wer war der Mann? Und was wollte er von ihm? Wie viel Zeit war vergangen,
seit der Typ ihn niedergeschlagen hatte? Eine Stunde? Fünf? Emilie, dachte Tibor.
Sie wird versuchen …
    Der Mann lachte leise auf. »Dankenswerterweise bist du zu Fuß gekommen.
Das hatte ich gehofft. Sonst hätte ich mir etwas ausdenken müssen, um deinen
Wagen unauffällig wegzuschaffen. In der Nähe des Reitstalls wollte ich mich
nicht so gern blicken lassen. Ich bin dort zwar nicht mehr allzu häufig, aber
wie der Zufall manchmal so spielt … Du verstehst?«
    Tibor riss die Augen auf. Seibert, dachte er, Volker Seibert! Aber
was sollte das alles? Er versuchte, den Kopf zu bewegen, doch der Schmerz
hämmerte gegen seine Schläfen und ließ ihn sofort innehalten.
    »Bist du besorgt wegen deiner geplatzten Verabredung mit Emilie?«,
fragte Volker mit sanfter Stimme. Er hob die Hand. »Ich habe mir mal dein Handy
ausgeliehen, als es klingelte, und Emilie per SMS darüber in Kenntnis gesetzt, dass du doch keine Zeit hattest, sondern müde
warst und früh schlafen gehen wolltest. Sie schlägt vor, das Essen in den
nächsten Tagen nachzuholen.«
    Er hob mit leisem Bedauern die Brauen und schaltete das Handy aus.
»Tja, daraus wird wohl nichts …« Er sah auf die Uhr. »Ich werde dir jetzt
sicherheitshalber ein Schlafmittel verabreichen, das dich in ein paar Minuten
für ungefähr ein Stündchen komplett außer Gefecht setzt, und dann brechen wir
auf in mein Wochenendhaus. Das kennst du ja ganz gut, nicht wahr?«
    Was redete er da? Was für ein Wochenendhaus? Tibor schüttelte trotz
der Gefahr, übelkeitserregenden Schmerz ertragen zu müssen, den Kopf, aber
Volker beachtete ihn gar nicht. Er beugte sich hinunter und nahm etwas aus
einem Rucksack, der neben ihm auf dem Boden stand. Dann kniete er sich neben
Tibor und drehte ihn auf die Seite.
    »Keine Sorge, ich verfüge über eine Sanitäterausbildung und kann
sehr gut spritzen.«
    Tibors Hände waren auf dem Rücken gefesselt, und Seibert hatte kein
Problem, die Injektion zu setzen. Tibor spürte, wie ihn kurz nach dem Einstich
ein Hitzestoß durchfuhr.
    »Ich hoffe, du bist nicht allergisch dagegen«, spöttelte Seibert.
»Das würde mir glatt leidtun.«
    Tibor rührte sich nicht, während das Mittel durch seinen Körper
strömte. Er fühlte sich – unglaublich, aber wahr – innerhalb kürzester
Zeit wesentlich besser. Das dumpfe Pochen ließ nach, und ein wohliges Gefühl
angenehmer Müdigkeit machte sich breit. Seibert stand auf, schloss den Rucksack
und blickte Tibor an.
    »So, das hätten wir«, meinte er leutselig. »Nun müssen wir nur noch verschwinden.«
Er zwinkerte. »Und das ist auch ganz einfach. Mein Wagen steht in der Garage
deiner Eltern. Du wirst dich auf die Rückbank legen und

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