Wolfstage (German Edition)
einige Fotos und einen Streifen Negative mit
Bildern, die ich dir nicht im Einzelnen zu beschreiben brauche. Wie er da
rangekommen war, darüber konnte und kann ich nur spekulieren.«
Seibert nahm einen weiteren Schluck. »Als ich die Konstellationen zu
verstehen begann, reimte ich mir zusammen, dass er sie wahrscheinlich bei
Steffen entdeckt und eingesteckt hatte … warum auch immer. Letztlich ist
es egal.« Seibert blickte Tibor auffordernd an. »Oder?«
»Ja. Ich denke auch, dass das egal ist.«
Was für ein widerlicher Schnüffler, dachte Tibor. Bei der Stasi hätte
er die ganz große Karriere machen können. Und endlich kann er all das
genüsslich und ausführlich erzählen, denn wenn er sein Herz erleichtert hat,
bringt er mich um.
Seibert nickte seltsam beruhigt. »Ich war jedenfalls ziemlich
sicher, dass Moritz mit der Erpressergeschichte nichts zu tun hatte, sondern
von der Schwuchtel benutzt worden war. Es passte zu seiner gedrückten Stimmung.
Ich entdeckte jedenfalls diese Fotos, und mir ist weiß Gott schlecht geworden,
als mir das ganze Ausmaß der Geschichte klar wurde. Frau und Sohn ließen sich
von ein und demselben Kerl vögeln, und der nutzte die tumbe Geilheit der beiden
für eine handfeste Erpressung. Das konnte ich natürlich nicht so stehen
lassen.«
Tibor nickte zustimmend.
»Ich habe ihn entführt und hierhergebracht. Ähnlich wie dich. Wir
saßen eine Weile zusammen. Er sagte mir, wo das Geld war, gab mir Auskunft
darüber, wie er lebte, Freunde, Familie und so weiter, und was er vorhatte. Zu
den Äußerungen musste ich ihn natürlich ein wenig ermuntern, wie ich schon
angedeutet habe. Ich habe ihn übel zugerichtet. Später konnte ich mit seinen
Schlüsseln in sein Zimmer und habe es so präpariert, dass es den Eindruck eines
raschen Aufbruchs vermittelte – inklusive einiger handschriftlicher
Zeilen, die Steffen mir dankenswerter Weise noch zur Verfügung stellte. Es war
der riskanteste Teil des Unternehmens, aber es hat funktioniert!«
Seibert lachte kurz auf. »Niemanden hat sein Verschwinden so erstaunt,
dass nachgeforscht wurde. Bis jetzt. Die Chance, dass sich nie wieder jemand um
Steffen scheren würde, war ziemlich groß.«
Nicht groß genug, kommentierte Tibor im Stillen. Und worüber reden
wir jetzt? Wie spät mochte es sein?
»Ich finde, es wird Zeit …«
Tibor hob kurz die gefesselten Hände. »Warten Sie noch.«
Seibert lächelte. »Du bist amüsant. Es macht Spaß, mit dir zu
plaudern. Eigentlich ist es wirklich schade, dass wir uns auf diese Weise
kennenlernen mussten.«
Vergiss nicht, dass ich schwul bin, dachte Tibor. Eigentlich findest
du mich eklig. »Was ist mit Ihrem Sohn? Wie ist das Verhältnis zwischen Ihnen
beiden seit damals?«, fragte er stattdessen.
Seiberts Lächeln verblasste. »Auch wenn dich das nichts angeht –
wie meinst du das?«
»Sie sagten, er sei schon immer etwas unzugänglich gewesen. Hatten
Sie nach dieser Geschichte den Eindruck, dass er sich verändert hat?«
Die Beziehung zwischen schwulem Sohn und Vater war immer ein
spannendes Thema. Tibor hoffte inständig, dass Seibert diesbezüglich seine
Meinung teilte oder zumindest das Bedürfnis empfand, weiterzureden. Sich zu
rechtfertigen, Dampf abzulassen und seinen Hass zu formulieren.
»Verändert?« Seibert machte eine abwägende Miene. »Schwer zu sagen.
Ich hatte schon den Eindruck, dass er noch verschlossener war, andererseits …«
Seibert fixierte ihn plötzlich scharf. »Dein Vater – war der gut auf dich
zu sprechen? Ich meine, als er erfahren hat, was du für einer bist?«
»Mein Vater war nie gut auf mich zu sprechen, und ich weiß nicht, ob
er es je mitbekommen hat«, erwiderte Tibor langsam. Das war das Letzte, wonach
ihm zumute war – über seinen Vater zu reden. Nun gut, das Vorletzte.
»Ich habe ihn verachtet«, sagte Seibert, als hätte er Tibors Antwort
gar nicht registriert. »Als mir klar wurde, dass der Junge keine pubertären
Spielchen gespielt hat, sondern tatsächlich nur mit Jungs und Männern rummachte
und nichts anderes wollte … Ich hab’s ihm nie verziehen, wenn ich ehrlich
sein soll, obwohl das natürlich albern ist: albern, rückständig, lieblos und so
weiter. Aber ich konnte meine Gefühle nie ändern. Bis heute nicht. Die
Vorstellung, was er mit seinem Schwanz macht, bringt mich total in Rage.«
Wenigstens ist er ehrlich, dachte Tibor. Die Nägel von Daumen und
Mittelfinger seiner rechten Hand gruben sich in den Knoten um den linken
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