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Wolfstage (German Edition)

Wolfstage (German Edition)

Titel: Wolfstage (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manuela Kuck
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Fuß.
Er zog behutsam und kraftvoll, während er sich zugleich darauf konzentrierte,
seine Gesichtszüge immer wieder zu entspannen, um bloß nicht Seiberts
Aufmerksamkeit zu erregen.
    »Vielleicht hatte Moritz doch mehr mit der Geschichte zu tun, als
Sie seinerzeit angenommen haben«, hob Tibor an, als ihm die Gesprächspause zu
lang wurde.
    Volker Seibert musterte ihn scharf. »Sei nicht albern! Das ist
abgehakt.«
    »Warum? Nur weil Sie davon ausgehen, dass er die Fotos bei Steffen
gefunden und sie aus purer Neugierde mitgenommen hat? Es kann auch anders
gewesen sein.«
    »Tatsächlich?«
    Vorsicht, dachte Tibor, der Einwand macht ihn wütend. Er atmete
schnell. Wie anstrengend es war, mit zwei Fingern unauffällig zu hantieren.
Tibor spürte, wie ihm der Schweiß den Rücken hinablief. Er hatte das Gefühl,
dass der Knoten sich um eine winzige Nuance gelockert hatte. Flatternde
Aufregung schoss durch seinen Körper, obwohl er keine Ahnung hatte, was ihm ein
Fluchtversuch tatsächlich einbringen würde. Eine Lebensverlängerung um zwei Minuten?
Fünf? Wenn er es schaffte, zur Tür zu kommen. Die Schlüssel steckten im
Schloss. Na und? Es war mitten in der Nacht, und Schreie würden ihn kaum
retten.
    »Vielleicht hat Steffen ihm versprochen, dass sie gemeinsam weggehen
würden, und deshalb ließ Moritz die Erpressung zu – sozusagen als
Finanzierungsvariante für die gemeinsame Zukunft. Er war noch nicht
volljährig«, gab Tibor zu bedenken.
    Seibert blickte ihn stumm an.
    »Wahrscheinlich hat er geglaubt, dass Steffen sich aus dem Staub
gemacht hat, und war total enttäuscht.«
    Seibert winkte ab. »Das ist nicht mehr mein Problem.« Er griff nach
seinem Rucksack. »Und ich finde, dass wir jetzt genug gequatscht haben.«
    »Hören Sie …«
    »Nein, nun reicht es endgültig. Halt die Klappe! Ich verpasse dir
jetzt eine Beruhigungsspritze, die dich angenehm entspannen wird.«
    »Und dann?« Tibors Gaumen war trocken wie Pergament. Zugleich hatte
er das Gefühl, sein Finger würde abbrechen. Immer wieder setzte er neu an, um
den Knoten in Bewegung zu bringen. Er hatte nur eine Chance: das
Überraschungsmoment.
    »Dann schneide ich dir die Pulsadern auf. Glaub mir, das ist ein
sanfter Tod.«
    »Sie haben keinen Grund, mich zu töten!«, wandte Tibor ein. Sein Puls
raste. Er stöhnte unterdrückt.
    Seibert hatte inzwischen eine Kanüle in der Hand und setzte eine
Nadel auf. Er erhob sich langsam und war mit drei Schritten bei Tibor. »Wenn du
vernünftig bist, kann ich dir die Spritze schmerzfrei verabreichen.«
    Tibor blinzelte zu ihm hoch. Er versuchte zu lächeln. Seibert nickte
und ließ sich in die Hocke herab. In dem Augenblick, in dem er die Hand hob, um
nach ihm zu greifen, zog Tibor seine Arme zwischen den Schenkeln hervor und
hämmerte Seibert die geballten Fäuste mit voller Kraft ins Gesicht. Blut schoss
aus seiner Nase. Ein weiterer kräftiger Stoß mit beiden Füßen ließ Seibert der Länge
nach hinschlagen. Bevor er sich von dem Schlag und der Verblüffung erholt hatte
und aufrappeln konnte, war Tibor auf den Beinen, griff sich den Rucksack und
schleuderte ihn Seibert ins Gesicht.
    Er wandte sich um und hüpfte mit lächerlich kleinen unbeholfenen
Schritten zur Tür. Von Laufen konnte keine Rede sein. Den Knoten hatte er zwar
spürbar lockern können, doch für das endgültige Lösen hätte er mindestens noch
fünf Minuten gebraucht. Hinter sich hörte er Seiberts Keuchen.
    Als Tibor die Hand nach der Klinke ausstreckte und den Schlüssel
umfasste, war Seibert dabei, sich stöhnend und fluchend aufzurichten. Tibor
drehte den Schlüssel und riss die Tür auf. Er trat nach draußen. Schwarze
Nacht. Schwarzer See. Keine Menschenseele. Ein leises Wimmern drang aus seinem
Mund. Und jetzt?
    Seibert war verdammt zäh. Tibor hörte, dass er die ersten Schritte
machte. Weiter, weiter, schrie es in ihm, los, wenn du nicht rennen kannst,
dann hüpf um dein Leben! Mach schon: raus auf den Bootssteg! Und dann? Warum
rannte man selbst in den aussichtslosesten Situationen um sein Leben? Warum
wollte man weiterleben, selbst wenn der eigene Vater einen Tag für Tag halb
totschlug und die Mutter ihren Kummer ersoff, statt dem Sohn beizustehen?
    Er hüpfte los – wie eine Witzfigur aus einem Comic. Seibert war
hinter ihm, und es war nur noch eine Frage der Zeit, wann er ihn packen und
endgültig erledigen würde. Tibor hatte den Gedanken noch nicht zu Ende gedacht,
als er von einem Schlag in den Rücken getroffen wurde

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