Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt
Gestalt. Der Haarknoten in ihrem Nacken hatte sich ein wenig gelöst, und die herabhängenden Strähnen machten ihr Gesicht weicher.
«Leben Sie ganz allein hier, Signora?»
«Erstaunt Sie das? Kreative Arbeit erfordert Einsamkeit – zumindest zeitweilig. Sie können sich nicht auf innere Bilder konzentrieren, wenn ständig irgendwelche Leute um sie herumtanzen. Aber ich lebe nicht immer allein. Es gibt ein paar Kunststudenten, die jedes Jahr einige Monate bei mir lernen.»
Natürlich, dachte Guerrini. Elsa Michelangeli war eine bekannte Malerin. Genau wie Altlander ein bekannter Schriftsteller war. Guerrini kam sich wie ein Trottel vor. Na, immerhin kannte er T. S. Eliot. Jedenfalls ein bisschen.
«Wollten Sie mich fragen, ob ich mich so allein nicht fürchte? Alle fragen mich das!» Ihre Stimme klang plötzlich angriffslustig.
«Nein. Das wollte ich Sie nicht fragen, Signora Michelangeli. Sie würden hier wohl nicht wohnen, wenn Sie sich fürchteten.»
Sie warf ihm einen erstaunten Blick zu.
«Sagen Sie Elsa zu mir und fragen Sie mich endlich was. Oder fällt Ihnen nichts ein, Commissario?»
«Doch, Signora. Ich habe ja schon eine Menge erfahren.»
«Mit diesem Smalltalk, den wir bisher geführt haben? Dass ich nicht lache.»
Aha, dachte Guerrini. Jetzt kommt die wahre Elsa langsam ans Licht. Gefällt mir gar nicht so schlecht.
«Sie mögen diesen Enzo Leone nicht besonders, oder irre ich mich da?»
«Nein, ich mag ihn nicht besonders. Ich habe ihn seit Jahren hingenommen. Er war in meinen Augen nicht der richtige Partner für Giorgio. Ich habe ihn immer als einen kleinen miesen Abstauber betrachtet. Aber in die Beziehungen von Homosexuellen darf man sich noch weniger einmischen als in andere. Deshalb habe ich mich rausgehalten. Er kocht ganz gut, ist kein schlechter Sekretär – wenn man bedenkt, dass er eigentlich Kellner war, na ja. Mehr kann ich dazu nicht sagen.»
Wieder dankte Guerrini dem Himmel, dass Tommasini nicht zuhörte. Sein Bruder war Kellner gewesen, besaß aber inzwischen eine Osteria.
«Gab es Probleme zwischen den beiden?»
«Meiner Ansicht nach hätten sie sich bald getrennt. Enzo fuhr dauernd nach Florenz, und sie haben sich viel gestritten.» Ein verächtlicher Zug lag um Elsas Mund. «Ich weiß nicht, warum Giorgio nicht schon längst mit ihm Schluss gemacht hat. Früher war er da viel radikaler. Er sagte mal etwas wie: Im Alter trennt man sich nicht mehr so leicht.»
«Können Sie sich vorstellen, dass Enzo etwas mit Altlanders Tod zu tun hat?»
Elsa Michelangeli richtete sich hoch auf, stemmte beide Fäuste in ihre Hüften, lachte kurz und bitter auf.
«Vorstellen kann ich mir alles, Commissario. Alles, was Menschen so draufhaben.»
«Und was bedeutet das?»
Sie zuckte die Achseln.
«Wurde er bedroht? Hatte er Feinde?»
«Ja, natürlich. Er machte sich gern Feinde. Menschen waren nicht seine bevorzugten Lebewesen. Vögel und Hunde mochte er lieber.»
«Sein Laptop wurde offensichtlich gestohlen – möglicherweise hat der Mörder ihn mitgenommen, und inzwischen wurde eingebrochen, obwohl die Räume versiegelt waren.»
«Ach! Das finde ich interessant.» Sie nippte an ihrer winzigen Espressotasse und streichelte die Katze, die neben ihr auf dem Sofa lag.
«Haben Sie eine Ahnung, was auf diesem Laptop gespeichert sein könnte?»
«Bösartige Bemerkungen über diverse Menschen, Gedichte, Essays, Notizen für seine Arbeit … was ein Schriftsteller eben so seinem Computer anvertraut.»
«Wer könnte daran interessiert sein? Signora, ich habe den Eindruck, dass Sie ausweichen. Sie sind eine wichtige Zeugin, eine der wenigen, die ihn näher gekannt haben.»
«Ich kann Ihnen mindestens zehn Leute nennen, die Interesse an diesem blöden Computer haben müssten.»
«Ich bitte darum.»
«Die Namen muss ich erst zusammenbringen, aber einer davon ist bestimmt Paolo Montelli, der Textilfabrikant.»
«Der aus Prato, mit der Villa in Borgo Ecclesia?»
«Genau der!»
«Warum denn der? Was hat ein italienischer Textilfabrikant mit einem deutschen Schriftsteller zu tun?»
Wieder lachte Elsa auf.
«Man sieht, dass Sie Giorgio nicht kannten. Er gab ab und zu große Feste, um die Vertreter des Kapitalismus hautnah zu studieren, traf sich auch privat mit ihnen. Mit deutschen und italienischen. Giorgio war ein großer Zyniker. Er hat sie eingeladen, sie beobachtet und dann über sie geschrieben. Seltsamerweise kamen sie trotzdem.»
«Wahrscheinlich haben sie seine Bücher
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