Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt
Laura nahm den warmen Duft wilder Kamillenblüten wahr, atmete tief ein und war froh, dass Angelo nicht besonders schnell fuhr.
«Elsa ist für mich erst nach dem Mordanschlag ausgeschieden. Leone hat kein erkennbares Motiv.»
«Hatte Elsa eins?»
«Unerfüllte Liebe.» Guerrini wich einer Eidechse aus, die sich auf dem heißen Asphalt sonnte.
«Aber sie standen sich doch sehr nahe, Altlander und Elsa Michelangeli. Ich habe einen Artikel über sie gelesen – unsere Sekretärin hat ihn im Internet gefunden. Sie waren angeblich füreinander eine Quelle der Inspiration und haben seit Jahren eng zusammengearbeitet.»
Guerrini legte eine Hand auf Lauras Oberschenkel.
«Aber sie wollte möglicherweise mehr.»
Laura schaute auf seine Hand.
«Du meinst, ins Bett mit ihm?»
«Natürlich.»
«Wieso natürlich? Vielleicht wollte sie gar nicht!»
«Leone war da anderer Meinung.»
«Männer denken immer, dass es ohne Sex nicht geht.»
«Geht’s denn ohne?» Der Druck seiner Hand auf ihrem Oberschenkel verstärkte sich. Es fühlte sich gut an in ihrem Bauch.
«Nicht immer, aber unter bestimmten Umständen.»
«Unter welchen?»
«Na, wenn einer von beiden nicht kann oder nicht will.»
Seine Finger gruben sich in ihren Oberschenkel.
«Au!» Laura schob seine Hand weg. «Spiel nicht den Latin Lover!»
Guerrini lachte auf.
«Was würdest du machen, wenn ich schwul wäre und du dich in mich verliebt hättest?» Er warf ihr einen prüfenden Blick über den Rand seiner Sonnenbrille zu.
«Es wäre schade, Commissario. Wirklich jammerschade. Übrigens ist mir so ein Gedanke durch den Kopf gegangen, als wir uns zum ersten Mal getroffen haben … damals in Florenz.»
«Was? Du bist hinterhältig!» Er bremste und hielt am Straßenrand. «Sag das nochmal!»
«Es ist mir durch den Kopf gegangen, weil du nicht so ganz jung warst und keinen Ehering hattest. Und ich dachte, dass es schade wäre.»
« Madonnina . Was Frauen alles denken. Wir Männer haben keine Ahnung!»
Laura lachte.
«Natürlich habt ihr keine Ahnung. Aber es sollte dich doch freuen, dass es mir leidgetan hätte, wenn du schwul gewesen wärst.»
«Ich muss erst darüber wegkommen, dass du es für möglich gehalten hast, dass ich schwul sein könnte.»
«Ach, ihr Männer habt euch immer so entsetzlich, wenn es darum geht. Unsere größten Künstler, Dichter und Denker waren schwul. Michelangelo zum Beispiel …»
«Woher weißt du das?»
«Man kann es nachlesen.»
«Kann man das?» Guerrini sah sie erschüttert an.
«Natürlich.»
« Bene . Was also würdest du machen, wenn ich schwul wäre und du dich trotzdem in mich verliebt hättest?»
Laura betrachtete ihn nachdenklich, fuhr mit einem Finger leicht über seine Wange.
«Ich glaube nicht, dass ich mein Leben mit dem deinen verbinden würde, Angelo. Nein, sogar ziemlich sicher nicht!»
«Du würdest mich also einfach ignorieren, abservieren. Als untauglich. Keine Freundschaft? Kein Versuch, mich zu bekehren?» Er nahm seine Sonnenbrille ab.
«Ich glaube, du bist wirklich eitel, Angelo. Natürlich würde ich dich abservieren. Du bist schließlich kein Dichter wie Altlander, der mir wichtige Ideen für meine Arbeit liefert. Meine Morde kann ich auch mit den Kollegen in München aufklären. Dazu brauche ich keinen schwulen Commissario.»
«Und wozu brauchst du mich?»
Laura sah ihn ernst an.
«Ich brauche dich, Angelo. Einfach dich.»
«Grazie.»
Das Anwesen des ersten Deutschen auf Enzo Leones Liste war ungefähr fünf Kilometer von Wasteland entfernt. Es lag zur Abwechslung nicht auf einem Hügel, sondern auf halber Höhe eines bewaldeten Hangs. Der Besitzer war Jugendbuchautor, seine Freundin Illustratorin. Das hatte Leone in Klammern hinter die Namen geschrieben. Die beiden standen auch auf Elsas Liste, mit Fragezeichen versehen und dem Zusatz «bemühen sich angestrengt um Freundschaft».
Im Tal, das zu dem ehemaligen Bauernhaus führte, blühte noch der Ginster, verstärkte mit seinem gelben Gleißen das Sonnenlicht, strömte süße Düfte aus. Es war heiß. Das Tor stand offen, und als Guerrini den Wagen auf den freien Platz zwischen Scheune und Wohnhaus lenkte, warteten die Besitzer bereits. Sie standen im Schatten, sahen Laura und Guerrini entgegen. Die Frau war etwa vierzig, trug ein buntes Tuch um den Kopf und große Kreolen in den Ohren, hatte etwas von einer Roma mit ihren dunklen Augen und der brauen Haut. Der Mann dagegen war graublond, mit blondem Bart, sehr
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