Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt
warum?»
«Keine Ahnung.»
«Der alte Mayer füllt ihn wahrscheinlich mit Himbeergeist ab!», murmelte Laura.
«Was?»
«Ach nichts. Sag Peter, dass er mich jederzeit auf dem Handy erreichen kann, falls er mich braucht.»
«Sag ich ihm. Wirklich jederzeit?» Wieder lachte Claudia.
«Während der offiziellen Bürostunden. Okay? Mach’s gut und lass dich von Becker nicht zu sehr ausbeuten!»
Wieder lehnte Laura sich zurück. Guerrinis Bürotür hatte Milchglasscheiben mit durchsichtigen Ornamenten an den Rändern. Er stand dahinter und sprach mit irgendjemandem. Sie konnte seine verschwommenen Umrisse erkennen, die ausgreifenden Gesten seiner Arme und Hände, genoss es, einfach dazusitzen und ihm zuzuschauen.
Gleich darauf steckte er den Kopf ins Zimmer. «Es dauert noch etwas. Leone macht Schwierigkeiten. Er will nicht in Siena bleiben, sondern zumindest nach Florenz. Ich muss noch mit dem Richter sprechen und den Personenschutz organisieren. Hier ist mein Schlüssel. Du kannst dich ja inzwischen umziehen und dich um deinen Vater kümmern. Ich hole euch beide bei Natalia ab.»
«Zu Befehl, Commissario. Seit wann duzen Sie mich? Und das mit dem Schlüssel sollten Sie nicht so laut in der Gegend herumposaunen.»
« Scusi! Ich habe es einfach vergessen, weil ich mich gerade darüber ärgere, dass immer irgendwas nicht funktioniert!» Er kam ins Zimmer, schloss die Tür hinter sich und löste zwei Schlüssel von seinem Schlüsselbund.
«Der große ist für die Haustür, der kleine für die Wohnung. Ich komme so schnell wie möglich. Mein Vater erwartet uns um acht – es wäre riskant, wenn wir bei Perlhuhn mit frischen Feigen zu spät kämen.»
«Wegen des Perlhuhns oder wegen deines Vaters?»
«Wegen beiden!» Guerrini zwinkerte ihr zu und eilte davon.
Es war fünf nach acht, als sie vor Fernando Guerrinis Haustür standen. Die blaugelbe Stunde brach an. Überall leuchteten die historischen Gebäude in der Dämmerung wie Traumbilder auf. Essensdüfte hatten sie durch die Gassen von Siena begleitet, und Laura verspürte heftigen Hunger. Ihr Vater hatte darauf bestanden, seinen leichten hellgrauen Sommeranzug anzuziehen, nur die Krawatte ließ er sich ausreden. Unterwegs hatte er drei Mal gesagt, wie froh er sei, dass Laura ausnahmsweise einen Rock trage. Einen ausgesprochen schönen, weiten dunkelroten Rock.
«Ich kann mich nicht daran erinnern, wann ich sie das letzte Mal im Rock gesehen habe», sagte er zu Guerrini, und der nickte ernst. Laura reichte diese vierte Bemerkung allmählich, doch sie ließ ihren Vater gewähren, wusste, dass es ihm Spaß machte, seine Tochter ein wenig zu ärgern. Außerdem war sie der Meinung, dass er ohnehin jede Menge Kredit bei ihr hatte, weil er sich so selbständig in Siena bewegte und ihr so viel Freiraum ließ.
«Ein schönes Haus», sagte er jetzt, betrachtete die schwere Holztür, den Türklopfer mit dem Löwenkopf. «Ich bin wirklich neugierig auf Ihren Vater, Commissario. Falls die Geschichten zutreffen, die mir Natalia erzählt hat, muss er ein sehr interessanter Mann sein.»
«Er neigt zu Übertreibungen, Dottore, aber er ist interessant.» Guerrini holte tief Luft, ehe er den Türklopfer gegen das Holz schlug und zur Sicherheit kurz klingelte. Drinnen bellte Tonino, erst leise, dann lauter. Als Fernando Guerrini die Tür öffnete, riss sein Sohn die Augen auf. Der alte Guerrini trug ein weißes Hemd, eine schwarze Weste, schwarze Hosen und ein knallrotes Tuch um den Hals wie ein frischgebackener Revolutionär. Er hielt sich sehr aufrecht, lächelte nicht, sagte mit fester Stimme: «Buona sera, signori» , und seine Augen forschten in ihren Gesichtern.
Es war Tonino, der die Situation entschärfte. Fiepend und jaulend begrüßte er die Gäste, als seien sie alte Freunde. Unter den strengen Blicken der Großeltern, deren Bild nach wie vor an der Wand gegenüber dem Eingang hing, stellte Guerrini die beiden Deutschen vor. Und wieder fand er, dass sein Vater einen ähnlich stechenden Blick haben konnte wie die beiden Ahnen an der Wand.
Es wurde nicht einfach, Schweigen brach schnell zwischen die Sätze ein, obwohl alle außer dem alten Guerrini sich mit dem Gespräch Mühe gaben. Emilio Gottberg bewunderte die große altmodische Küche, Laura streichelte Tonino und fragte, wie alt er sei. Angelo zeigte auf große Gläser mit getrockneten Steinpilzen in einem Regal und erzählte, dass sein Vater sie am Monte Amiata gesammelt und selbst getrocknet habe. Mit
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