Wolfstod: Laura Gottberg ermittelt
Hinsicht.»
« Bene. Du scheinst ihn wirklich zu verstehen. Ich lese dir vor, was er Byron nachempfunden hat. Bist du bereit?»
Laura nickte. Guerrini stützte sich auf einen Ellbogen und atmete tief ein, ehe er begann:
«Nie mehr werden wir umherschweifen
wie Könige der Nacht,
wenn unsere Herzen auch glühen,
heller als der Mond.
Schwerter werden stumpf,
die Seele schwach.
Lass uns den Atem, Liebster,
Schenk unsrer Liebe Rast.
Könige der Nacht waren wir,
der Tag kam zu schnell.
Nie mehr werden wir umherschweifen,
lockt der Mond noch so hell.»
«Das ist sehr schön, Angelo, und sehr traurig», sagte Laura nach einer Weile. «Hat er dieses Gedicht jemandem gewidmet?»
«Du bist eine kluge Frau. Er widmete es seinem Bruder im Geiste, Lord Byron, und Raffaele. Und dieser Raffaele ist offensichtlich der wunderbare Engel, von dem Altlanders Haushälterin erzählt hat und mit dem Altlander mehrere Jahre zusammenlebte.»
«Es würde mich wundern, wenn dieser Raffaele nicht bald hier auftauchen würde.»
«Glaubst du das wirklich?»
«Wenn das eine so große Liebe war, dann wird er kommen. Da kannst du sicher sein, Angelo.»
«Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ein Mann einen Mann so leidenschaftlich lieben kann.»
«Er kann, Angelo. Es gibt auch Frauen, die andere Frauen so leidenschaftlich lieben. Vielleicht sind diese Leidenschaften sogar noch heftiger als zwischen Männern und Frauen, einfach deshalb, weil sie noch immer etwas Verbotenes haben. Und, amore , wäre ich so interessant für dich, wenn ich hier in Siena leben würde und eine Kollegin wäre?»
Guerrini starrte sie an, warf sie in die Kissen zurück und küsste sie.
«Du bist ein Biest, Laura. Sag nicht so etwas. Würdest du mich weniger interessant finden, wenn ich – sagen wir, Peter Baumann wäre?»
«Aber du kannst gar nicht Peter Baumann heißen. Dann wärst du nämlich nicht Angelo Guerrini, und den liebe ich. Genau diesen italienischen Halbmacho, mit weichen Haaren auf dem Bauch, der genau da lebt, wo er lebt und einen so ungewöhnlichen Vater hat wie ich und der …»
«Zitto», flüsterte Guerrini. «Sei still. Es ist spät, und wir müssen morgen früh aufstehen, um der Madonna ein paar Kerzen zu opfern. Weil unsere Väter sich mögen.»
Das Telefon klingelte, als Laura und Guerrini noch im Tiefschlaf lagen. Benommen tasteten sie beide nach dem Apparat, wie sie das immer taten, wenn sie aus dem Schlaf gerissen wurden. Erst als Laura die Augen kurz öffnete, wurde ihr bewusst, dass sie nicht in ihrem eigenen Schlafzimmer war, schloss daraus, dass das Klingeln sie nichts anging, und rollte sich wieder ein. Guerrini dagegen suchte leise fluchend weiter, wurde endlich fündig.
«Pronto», murmelte er.
«Sind Sie das, Commissario?»
«Jaja. Was ist denn los?»
«Tommasini hier.»
«Wieso bist du denn schon im Büro?»
«Ich habe Frühdienst, Commissario.»
«Aha.» Guerrini unterdrückte ein Gähnen.
«Es tut mir leid, Commissario, aber ich muss Ihnen das sagen, ehe es alle andern wissen.»
«Was denn, um Himmels willen?» Guerrini drehte sich um und schaute auf die Uhr an der Wand. Zehn nach sechs.
«Die Zeitung, Commissario. Da ist auf der ersten Seite ein Riesenbild von Altlanders Haus.»
«Ja und, das war doch zu erwarten, oder?»
«Ja schon …» Tommasini zögerte. «Auf dem Foto ist aber nicht nur das Haus zu sehen.»
« Dimmi! Jetzt sag schon!»
«Da sieht man einen schwarzen Geländewagen, aber sehr undeutlich, und dann noch Galleo und mich, und Leone liegt am Boden, und der Gärtner hat das Gewehr im Anschlag … der Hund ist auch drauf.»
Guerrini antwortete nicht, weil ihm nichts einfiel.
«Warum sagen Sie nichts, Commissario? Der Vicequestore und der Questore werden uns alle einbestellen.»
«Warum denn, Tommasini? Diese Fotografen lauern immer da, wo was los sein könnte. Schaut in Zukunft hinter jeden Baum und jagt sie weg.»
«Es ist nur … Galleo ist über eine Wurzel gestolpert, als er zu Leone laufen wollte, und ich wollte ihm aufhelfen.»
«Ja, und?»
«Es sieht ziemlich blöd aus auf dem Foto. Ich meine, die Leute werden sicher lachen.» Nach einer kurzen Pause fügte er hinzu: «Unsere Kollegen auch.»
«Na, gratuliere.»
«Was sollen wir denn tun, Commissario?»
«Nichts. Lass sie lachen. Das vergessen sie auch wieder.»
«Und der Vicequestore?»
«Vielleicht lacht er ja auch.»
«Und wenn er nicht lacht?»
«Dann eben nicht, Tommasini. Wir sehen uns um halb neun. Eher
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