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Wolfstränen - Roman (German Edition)

Wolfstränen - Roman (German Edition)

Titel: Wolfstränen - Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vanessa Farmer
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hatten sich gefunden.
    In diesem Moment verlosch die Kerze und Schatten wuchsen an den Wänden empor.
    Sie atmeten die Dunkelheit und ahnten beide, daß sie nun einen gemeinsamen Weg gehen würden. Dieses Ziel beschwor tiefe Angst.
    Tränen der Freude schwemmten die Angst weg. Sie flüchtete und kauerte in einem Winkel ihrer Herzen, vorerst verjagt, aber bereit, mit spitzen Krallen ihre Opfer zu schlagen.
     
     
     
     

15
     
    Der Mann war eine elende Erscheinung. Er ähnelte einem lahmen Tier, das bald vor Erschöpfung stirbt. Er holte einen Kanten trockenen Brotes aus seiner zerfetzten Kleidung und nagte daran, wie ein ausgehungerter Hund an einem Knochen. Endlich gelang es ihm, ein Stück abzubeißen. Er versuchte, es herunter zu bekommen, aber es blieb ihm im Hals stecken. Er würgte und ächzte, wand sich und strampelte mit den Beinen. Seine Finger umkrallten den Hals und sein Gesicht lief rot an. Einige Passanten liefen herbei. Stimmen wehten durcheinander. Jemand warf dem Ärmsten ein paar Penny zu.
    »He, geh‘ und spül den Kanten runter, bevor du erstickst!«
    Der Mann schnappte sich das Geld und schob sich taumelnd an der Hauswand hoch. Mit zitternden Beinen, hustend und keuchend machte er sich davon.
    »Mein Gott – das ist schrecklich«, sagte Nell.
    Sie wollte die Straße überqueren und dem Erstickenden helfen, aber Bernard hielt sie fest. »Warte ... es geht ihm gut!«
    Nell fuhr herum. Erstaunen stand in ihrem Gesicht.
    Bernard grinste. »Das ist der alte Jaimie. Er macht das schon seit Jahren so. Er tut, als wenn er an seinem Brot erstickt und irgendwelche Mitleidigen geben ihm ein paar Münzen. Vermutlich ist er jetzt schon auf dem Weg in eine andere Straße, wo er denselben Trick abzieht.«
    Sie befanden sich auf dem Weg nach Covent Garden. Meggy, Nell und Bernard.
    Meggy tätschelte Nells Hand. »Das Gesetz der Straße«, sagte sie lakonisch.
    Sie befanden sich am New Cut. Ein riesiger Marktplatz erstreckte sich vor ihnen. Menschen hasteten hin und her, Fuhrwerke versuchten, ihren Weg zu finden, Pferde scheuten, Polizisten gestikulierten, Bonbonhändler boten ihre Ware an und um einen Kaffeestand hatte sich ein Pulk gebildet. London war ein Hexenkessel.
    »Diese Stadt explodiert! Es werden immer mehr Menschen«, sagte Bernard. Er legte seinen Arm um Nell, die sich sonderbar geschützt und beachtet vorkam. »Vor einem Jahr war auf diesem Platz die Hölle los. An jedem Samstag, wenn es Lohn gab, fand hier der große Viktualienmarkt statt. Es gab hunderte von Ständen, und jeder Stand hatte ein oder zwei Lampen. Manche hatten das weiße Licht dieser neumodischen Dauerbrennergaslampen und andere hatten dieses rote Licht der Ölllampen. Du glaubst nicht, wie bunt es hier aussah. Einer machte aus einem Kürbis eine Lampe, ein anderer steckte eine Kerze in einen Stoß Brennholz, Frauen bastelten hübsche achteckige Leuchten, manche leisteten sich sogar runde Milchglaslampen. Besonders schön glühten die Kastanienöfen. Stell dir vor ... tausend Menschen. Händler, Bettler, Bambusflötenspieler, und alle schrien und brüllten. Alle hatten etwas zu verkaufen. Von Walnüssen bis Blechkasserollen. Es gab sogar Guckkästen, in die man hineinschauen konnte.«
    Er sprang geschickt zur Seite und wich einem Apfelkarren aus. Er zog Nell mit sich.
    »Über diesem Platz lag ein Licht wie aus einem Märchen. Die ganze Nacht lang. Es glitzerte und schimmerte und der Himmel war hell. Bis die Bullen alles geschlossen haben. Niemand darf mehr seinen Stand aufbauen. Niemand darf mehr an einer Stelle stehen! Das ist der Tod für viele Händler.« Er räusperte sich. »Meiner und Meggys war es auf jeden Fall! Ich verstehe dieses Land nicht, Nell. Jemand erlässt ein Gesetz und das, obwohl die Käufer auf diesem Markt aus gehobenen Kreisen kamen, Männer und Frauen, die sich am Trubel erfreuten. Mir scheint, in England ist die Hauptsache, dem Volk zu sagen, was es zu tun und zu lassen hat!«
    »Aber hier stehen doch noch eine Menge Händler rum.«
    »Sie wagen es, aber wenn man sie kriegt, wandern sie in den Knast«, sagte Meggy.
    Nell war fasziniert. Diese Welt war ihr fremd, war eine Gegend von London, die sie noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Sie hatte weit am Rande der Stadt gelebt, wo es eigene Märkte und Läden gab. Die City war weit weg gewesen, ein anderer Planet.
    »Warte«, lachte Meggy und hielt sie fest.
    Ein Polizist rannte über den Platz und vertrat einem Mann, der seinen riesigen Karren aufgebaut

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