Wolfstraeume Roman
Jahren hingewiesen hatte. Ich fuhr an riesigen Pferdefarmen und Wohnmobilen vorbei, die bereits für Thanksgiving mit Füllhörnern, Maiskolben und Papptruthähnen in Kostümen der Pilgerväter dekoriert waren. Vorsichtig manövrierte ich um eine Ecke, die vor einem Monat noch fast zugewachsen, inzwischen aber laubfrei war. Ich fuhr an den braunen Wiesen der Milchbauern vorbei und nietete beinahe eine orangefarbene Katze um, die mich vermutlich nicht gehört hatte, weil ich so langsam daherkam. Schließlich bog ich in unsere Einfahrt ein, parkte den Wagen und stieg aus, ohne hinter mir die Tür zuzuschlagen.
»Bist du das, Liebling?«
»Hängt davon ab, welchen Liebling du meinst«, entgegnete ich und folgte Hunters Stimme in die Küche.
»Hast du den Truthahn?«
»Nein, hab ich nicht.«
»Egal, dann essen wir eben die Überreste von den letzten Tagen.« Er lächelte mich betont sorglos an und zuckte mit den Achseln. »Dad hat sowieso gerade angerufen. Sie kommen jetzt doch nicht. Irgendwas wegen einer Einladung in den Country Club, die er angeblich vergessen hat.«
Er war gerade dabei, eine Kanne Kaffee zu kochen. Sein olivfarbener Wollpulli erinnerte mich frappierend an den Pulli von Kayla. »Auch gut. Dann müssen wir uns wenigstens nicht mit dem alten Knacker und seiner grauenvollen besseren Hälfte herumschlagen.«
Er fuhr sich mit der Hand durch die Haare, die ihm in die Stirn gefallen waren – eine Geste, die er immer dann einsetzte, wenn er besonders anziehend wirken wollte. Er hatte
sich in den letzten dreieinhalb Wochen seit dem positiven Schwangerschaftstest wirklich auffallend charmant verhalten.
»Ich habe gerade deine kleine Freundin im Supermarkt getroffen.«
»Wovon redest du?«
Ich drehte mich um und ging zur Treppe.
»Okay, wenn du dich so verhalten willst.« Hunter wandte sich wieder seinem Kaffee zu. Dieses betonte Desinteresse ließ mich noch wütender werden. Ich marschierte in die Küche zurück, wo mein Mann – der eindeutig Schuldige in diesem Fall – seelenruhig in einer Zeitung las und an seinem Kaffee nippte. Ich hingegen – ohne Zweifel die Beleidigte – stand vor Empörung bebend da und wurde geflissentlich ignoriert.
»Hör auf, keuchend herumzustehen«, sagte er nach einer Weile, ohne aufzublicken. »Und lass das Theater. Geh einfach weg, beruhige dich, und komm zurück, wenn du dich wieder etwas mehr im Griff hast.«
Ich starrte ihn fassungslos an. »Willst du denn nicht mal wissen, warum ich so wütend bin?«
Hunter blätterte die Seite um, faltete die Zeitung und blickte dann kurz auf. »Ehrlich gesagt, nein. Du kennst mich, Abs. Ich hasse Theater. Wir haben bereits über diese Sache mit anderen Frauen gesprochen. Das ist erledigt. Und ich finde es nicht sehr fair von dir, diesen alten Mist jetzt schon wieder aufzutischen.«
»Alten Mist? Nicht fair? Kayla behauptet, dass du sie verfolgst...«
Laut knallte er den Kaffeebecher auf die Arbeitsplatte. Seine dunklen Augen funkelten nun vor Zorn. »Hör mir
bloß mit der auf. Sie ist durchgeknallt, und ich will nichts mehr damit zu tun haben. Achte einfach nicht auf sie. Ich halte es genauso.«
»Triffst du sie noch?«
»Diese Frage beantworte ich nicht. Das ist mir einfach zu dämlich.«
»trifft du sie?«
Er las weiter in der Zeitung, als würde es mich gar nicht geben. In dem kalten, fast schon winterlichen Licht, das in die Küche fiel, wirkte alles noch hässlicher und verfallener als sonst. Jede Vase kam mir wie eine Urne vor und jedes Fenster wie ein Auge ohne Lid. Ich hatte mich inzwischen an die melancholische Untergangsstimmung in dem Haus gewöhnt, doch jetzt fiel mir auf, dass auch sie einen Teil des Problems darstellte. Ein hässliches Mobiliar – schlechtes Karma – üble Atmosphäre. Am liebsten hätte ich etwas gegen die Wand geschleudert.
»Ich will eine Antwort, Hunter!«
»Ach, Abra.« Er klang gelangweilt und angewidert. »Werde endlich erwachsen.«
»Ich will nur hören, dass du sie seit jener Nacht nicht mehr wiedergesehen hast.« Es war furchtbar: Innerlich tobte ich vor Wut, doch meine Stimme klang fast flehend.
»Ich habe keine Lust, jetzt mit dir darüber zu reden, Abra. Solange du in dieser Stimmung bist, drehst du doch sowieso alles so hin, dass es in dein Bild von mir passt. Vermutlich sind es die Hormone.«
Jedes seiner Worte ließ mich nur noch zorniger werden. Auf einmal war ich mir meiner Schwangerschaft mehr als zuvor bewusst. Ich begriff, wie wenige Menschen mich bisher
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