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Wolfstraeume Roman

Wolfstraeume Roman

Titel: Wolfstraeume Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alisa Sheckley
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Gründen befand ich mich an jenem Tag nicht gerade in bester Stimmung. Ich hatte in den Wochen zuvor wenig geschlafen, fünf Pfund zugenommen und war von meiner Zimmergenossin im Stich gelassen worden, weil sie fantastischen Sex mit einem Typen in einem
anderen Studentenwohnheim hatte. Ich wusste, dass es sich um fantastischen Sex handelte, denn manchmal spielte er sich auch in unserem Zimmer ab. Meine Mutter hatte mir eine Postkarte geschickt, um mir mitzuteilen, dass sie über Thanksgiving ehrenamtlich in einem Tierheim helfen wolle und ich also gern mit meinem Vater die Feiertage verbringen könne. Mein Vater lebte mit seiner Freundin Moon in Key West, wo sie gemeinsam eine Art Motel leiteten. Moon war bloß fünf Jahre älter als ich. Die meisten hielten sie allerdings wegen ihrer dunklen Augenringe bereits für über dreißig. Sie behauptete, hellseherische Fähigkeiten zu besitzen und so erraten zu haben, dass ich noch Jungfrau war.
    Das war allerdings kein Kunststück. Die meisten nahmen das von mir an.
    Zuerst begriff ich nicht, was der attraktive Typ in dem Seemannspulli eigentlich wollte. Er warf mir immer wieder einen Blick zu, runzelte die Stirn und sah dann auf seine Armbanduhr. Von weitem erinnerte er mich an Heathcliff aus Sturmhöhe. Ich hatte einige Tage zuvor eine meiner Kontaktlinsen verloren und trug deshalb eine Brille mit einem blauen Gestell, das meiner Mutter nach die Farbe meiner Augen bestens zur Geltung brachte. Meine Augen sind allerdings grau und nicht blau.
    Nach einer Weile nahm ich an, dass Heathcliff auf meinen Platz auf der Couch unter dem Fenster spekulierte. Oder vielleicht wartete er auch auf einen freien Computer und warf mir nur zufällig immer wieder einen Blick zu.
    Als er schließlich herüberkam und einen Zettel auf mein aufgeschlagenes Buch legte, blickte ich überrascht auf. Seine Miene wirkte fast finster. Vielleicht braucht er Hilfe
in Chemie, dachte ich. Ich entfaltete den kleinen Streifen Papier und las: Scheißprüfungen. Lust auf einen Kaffee in der Cafeteria?
    Meine Überzeugung, für einen derart attraktiven Mann höchstens eine vorübergehende Ablenkung darstellen zu können, ließ mich völlig unbeeindruckt wirken. Ich antwortete lässig: Noch nicht, muss erst Kapitel beenden. Heathcliff stand neben mir und las, was ich geschrieben hatte.
    - In einer Stunde?
    - Okay.
    Ich war mir sicher, dass er bestimmt nicht so lange warten würde. Doch er blieb die Stunde über da und warf mir zwischendurch immer wieder einen interessierten Blick zu. Als die Uhr an der Wand schließlich auf sechs zeigte, hatte ich es schon lange aufgegeben, das Kapitel konzentriert zu Ende zu lesen.
    »Fertig?« Er stand vor mir und bedachte mich mit einem Blick, der sowohl bewundernd als auch belustigt wirkte. Es schien fast so, als hätte er sich selbst überrascht, als er mich ansprach. Ich war inzwischen derart nervös, dass ich mich konzentrieren musste, um nicht auf einmal unkontrolliert zu lachen, zu blinzeln oder übertrieben oft mit dem Kopf zu nicken. Auf dem Weg zur Cafeteria hörte ich Hunter aufmerksam zu, während er mir von seinem Studienfach, seinen irritierenden WG-Mitbewohnern, seinen beruflichen Plänen und seinen Essgewohnheiten erzählte.
    Es stellte sich heraus, dass er Käse verabscheute. Er nannte ihn – an James Joyce angelehnt – »den Leichnam der Milch«. Ich scherzte, dass wir dann wohl ein furchtbares Paar abgeben würden, da ich Vegetarierin war und im Grunde vor allem von Käse lebte.

    »Warum bist du Vegetarierin?« Hunter und ich hatten uns auf eine Mahlzeit aus Kaffee und Pommes frites geeinigt. Um uns herum schienen lauter dünnere hübschere Mädchen in engen schwarzen Rollkragenpullis und perfekt sitzenden Jeans zu lungern, Cappuccino zu trinken und in Mary Shelleys Frankenstein zu lesen. Nur eine von ihnen hatte eine Brille auf, die allerdings eher so aussah, als ob sie damit besonders intellektuell wirken wollte.
    »Ich möchte die Fleischindustrie nicht auch noch unterstützen.« Ich trug einen dunkelblauen Jogging-Anzug, während meine Haare ungewaschen und ziemlich ungeschickt hochgesteckt waren.
    »Meinst du diese armen Batteriehühner ohne Schnäbel? Und die süßen überfütterten Kälbchen, deren Hufe zu weich sind, um darauf zu stehen?« Hunter schob sich ein paar Pommes in den Mund.
    »Offenbar bist du schon früher mal mit einer Vegetarierin ausgegangen.«
    Hunter lachte. Er hatte wellige braune Haare und wunderschöne dunkle Augen, in denen

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