Wolfstraeume Roman
unerlaubten Genuss hin. Als sich der Fremde mit geschmeidigen Bewegungen an meinen Rücken presste, begann ich, mir den gesichtslosen Mann hinter mir auszumalen – bis ich auf einmal ohne Vorwarnung selbst zu diesem Mann wurde. Jetzt versuchte ich, nicht
die Beherrschung zu verlieren und mich ganz auf diesen Körperkontakt zu konzentrieren. Ich atmete schneller und konnte schon bald kaum mehr an mich halten.
Dann kehrte ich plötzlich wieder in meinen eigenen Körper zurück. Ich blickte auf und entdeckte eine Eule, die auf dem Haltegriff über mir saß, ihren Kopf um einhundertachtzig Grad drehte und mir zuzwinkerte. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass der Mann, der mich berührte, eigentlich gar kein Fremder war – zumindest kein Wildfremder.
»Hören Sie auf«, sagte ich entschlossen und versuchte mich aus seiner Umarmung zu befreien. Fast schien es so, als ob ein Bann gebrochen worden war, nachdem ich den Mann erkannt hatte.
»Einen Moment noch, Liebling. Ich bin gleich so weit«, erwiderte Red. Er klang so, als ob er eine weite Strecke im Laufschritt zurückgelegt hätte.
»Kommt nicht in Frage«, entgegnete ich und stieß ihn von mir.
»Er hat Sie von oben bis unten gezeichnet«, meinte eine Frau, hob meine Bluse hoch und betrachtete neugierig meinen entblößten Rücken. Im Traum kam es mir gar nicht seltsam vor, dass Reds Berührung durch den Stoff meiner Bluse gedrungen war. Es schien auch natürlich zu sein, dass ich mich auf einmal von oben sehen und meinen Rücken begutachten konnte, der mit scharlachroten Zeichen bedeckt war und kalligraphisch wie eine Geschichte der Aborigines oder ein komplizierter Schamanenzauber aussah.
Ich wachte mit einem Schlag auf und stellte fest, dass ich allein war. Die Uhr auf dem Nachttischchen zeigte auf drei. Draußen herrschte völlige Dunkelheit. Ich schwang die Beine vom Bett und tapste unsicher in den Flur hinaus.
»Hunter? Bist du wach?« Während ich meinen Mann in der ganzen Wohnung suchte, dachte ich an den erotischen Traum. Wieso träumte ich von einem abgerissenen Typen, wenn mich der einzige Mann, den ich jemals begehrt hatte, endlich auf eine Weise wahrnahm und liebte, wie ich sie mir immer von ihm erhofft hatte?
Hunter war nirgends zu finden. Ich kehrte zwar ins Bett zurück und zwang mich dazu, liegen zu bleiben, aber in jener Nacht fand ich keinen Schlaf mehr. Erst am Morgen, als ich ins Bad ging und duschte, bemerkte ich die roten Abdrücke auf meinem Rücken. Ich wusste, dass es sich um Lakenabdrücke auf meiner Haut handelte, die schon wieder nachließen; aber im ersten Moment hatten sie im Spiegel wie geheimnisvolle Symbole ausgesehen.
Hunter kehrte wenige Minuten, ehe ich mich auf den Weg zur Arbeit machte, nach Hause zurück. Er war verschwitzt und zerzaust. Angeblich war er früh aufgestanden, um joggen zu gehen.
Um es mit Upton Sinclair auszudrücken: Es ist schwer, jemandem etwas begreiflich zu machen, wenn seine Ehe darauf basiert, dass er es nicht begreift. Aber selbst ich musste allmählich zu der Einsicht kommen, dass sich unser zweiter Frühling dem Ende näherte.
Allerdings gönnte ich mir noch eine gewisse Schonfrist und tat so, als würde ich nicht begreifen, warum das so war.
7
Am Sonntag , den. Oktober, ließ es sich nicht länger leugnen. Da ich nicht arbeitete, gab es auch nichts, womit ich mich ablenken konnte. Ich musste der Tatsache ungeschminkt ins Auge blicken, dass ich an diesem Tag dreißig Jahre alt wurde. Wie alle Geburtstage, die mit einer Null enden, verlangte auch dieser nach einer gewissen Aufmerksamkeit. Ich betrat nun das Jahrzehnt, in dem wichtige Entscheidungen gefällt werden. Meine Mutter meinte immer: »Mit zwanzig Jahren kann man einen ersten Beruf und einen ersten Mann wählen, die sich später möglicherweise beide als völlig unbrauchbar erweisen. Aber mit Dreißig schafft man sich sein Erwachsenenleben. Natürlich kann man vieles auch noch mit Vierzig wieder rückgängig machen, aber trotzdem...« Dreißig Jahre alt zu werden, stellte für mich also ein wichtiges Datum dar.
Von Hunter erwartete ich nichts Großes.
Er hatte schon früh in unserer Beziehung klargestellt, dass Geburtstage und Weihnachten etwas für Kinder wären, während sich Erwachsene damit überraschten, persönlichere und originellere Tage zu feiern. Was er zugegebenermaßen manchmal auch durchaus tat. So brachte er mir einmal einen Strauß roter Rosen mit, um unser erstes Jahr
mit geteilter Miete zu feiern, und ein anderes Mal
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