Wolfstraeume Roman
weinerlich fühlte, beschloss ich, entlang der Bootsanlegestelle im Riverside Park joggen zu gehen. Ich wollte eine verstärkte Ausschüttung meiner Endorphine anregen und so vielleicht die Unsicherheit herauslaufen, die mich auf einmal ergriffen hatte.
»Ich gehe joggen«, erklärte ich Hunter.
»Aha«, erwiderte er und blickte nur kurz in meine Richtung. Sobald ich die Haustür hinter mir ins Schloss fallen hörte, merkte ich, wie schwer es mir fiel, meine Beine überhaupt zu bewegen. Ich überlegte einen Moment lang, ob ich
nicht besser einen Bus zum Park nahm, entschied mich jedoch dagegen. Das Bedürfnis zu laufen würde sich bestimmt einstellen, sobald ich mich in Richtung Grünflächen auf den Weg machte.
Einige Jogger liefen auf dem Riverside Drive an mir vorbei. Sie trugen alle eng anliegende Lycra-Anzüge und wirkten schlank und konzentriert, während ich mich in meinem grauen Jogginganzug ziemlich schlapp fühlte. Ein Geschäftsmann mit einer Plastiktüte in seiner Linken wartete darauf, dass sein Mastiff endlich sein Geschäft erledigt hatte. Es waren solche Momente, die mich diese Stadt so lieben ließen: Nirgendwo sonst wirkte das Natürliche so unnatürlich wie hier.
Auf der 79. Straße traf ich auf eine Frau, mit der ich gemeinsam die Highschool besucht hatte. Sie erklärte mir stolz, dass sie inzwischen Theaterstücke schrieb und Software entwarf. Ihre Zehen sahen in den eleganten Sandalen perfekt gepflegt aus, während sich mir ihr schwangerer Bauch unter einem schicken Designerpulli keck entgegenreckte.
»Bist du verheiratet?«, fragte sie, ohne auf eine Antwort zu warten. »Ich habe gerade einen hinreißenden Mann aus einem kleinen Dorf in Italien geheiratet. Wir sind so glücklich! Wir haben in der kleinen weißen Kirche geheiratet, in der Paolo schon getauft wurde, und der ganze Ort kam zu unserer Hochzeit. Die kleinen Mädchen haben alle Schleifen getragen. Entzückend! Ich erinnere mich noch, dass du nie heiraten wolltest. Irgendwie habe ich mir dich immer in einem großen coolen Loft mit vielen Katzen vorgestellt.«
»Nein«, erwiderte ich langsam. »Die mit der Katzenvorliebe ist meine Mutter. Ich bevorzuge Hunde.«
Mrs. Dorf-in-Italien warf den Kopf zurück und lachte. »So habe ich dich in Erinnerung, Abra. Genau so! Mit staubtrockenem Humor! Lass uns doch bald mal etwas trinken gehen oder so. Hier ist meine Nummer.«
Ich steckte ihre Visitenkarte in meine Tasche und lief weiter – vorbei an jungen Liebespärchen in ausgebleichten Jeans, die lachten und angeregt miteinander redeten, während sie sich immer wieder verliebt betrachteten.
Auf dem Nachhauseweg kaufte ich in einem Bioladen etwas für unser Abendessen ein. In der Gemüseabteilung stand neben mir eine Frau Mitte fünfzig, mit rabenschwarzen Haaren und einer übergroßen Brille mit getönten Gläsern. Sie kam mir irgendwie bekannt vor, auch wenn ich nicht wusste, woher. Erst als sie auf mich zustürmte, mich umarmte und sich als Rita, die frühere Freundin meines Vaters, vorstellte, erinnerte ich mich wieder. Wir hatten uns seit meiner Collegezeit nicht mehr gesehen, und sie erkundigte sich natürlich nach meinem Vater, dem alten Haudegen, wie sie ihn nannte.
»Es geht ihm gut«, antwortete ich.
»Ist er mit jemandem zusammen? Er musste immer mit irgendjemandem zusammen sein, dein Vater.«
»Ja, er hat eine Freundin.«
Sie schüttelte traurig den Kopf. »Ich kann Leute einfach nicht verstehen, die um jeden Preis nicht allein bleiben wollen.«
Dann umarmte sie mich erneut und hüllte mich dabei in den Duft ihres schweren Parfüms ein. Sie gab mir ihre Karte, falls ich mal einen Job oder eine gute PR-Beratung bräuchte, und wandte sich schließlich den Zwiebeln zu.
Das Sache mit Manhattan war die: Irgendwann kam
jeder hierher, um sein Glück zu versuchen – alte Freunde und Bekannte, Feinde, Geliebte, Dämonen. Leute, die man in Nepal kennengelernt hatte, schlugen sich plötzlich in Manhattan mit einem um ein Taxi. Der Klassentyrann, der einen in der Grundschule immer »Hundeatem« genannt hatte, lief dir auf einmal in der U-Bahn über den Weg und konnte sich noch genau daran erinnern, dass du nicht zu seinem sechsten Geburtstag gekommen warst. Man sollte niemals nach New York ziehen, wenn man Anonymität suchte. Diese Stadt war wie Oz: Die Böse Hexe des Westens entpuppte sich plötzlich als die Frau, die schon in Kansas etwas gegen deinen Hund gehabt hatte.
Zurück in der Geborgenheit unserer Wohnung, wo mich
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