Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)
und schloss Marisa in die Arme. Sie drückte sie so fest an sich, dass sie jeden Knochen im Leib spürte.
»Es tut mir so leid«, sagte Anne. »Was immer du durchmachen musstest und dich zu diesem Schritt bewogen hat.«
»Wir wissen, was so etwas bedeutet«, sagte Cindy. »Weil es noch ein weiteres Mitglied in unserem Club gibt, das dazu gezwungen war.«
Anne und Marlena nickten, wechselten einen vielsagenden Blick mit Cindy. Marisa wusste, dass es sich um Lily handeln musste, auch wenn kein Name genannt wurde.
»Hast du in einem Frauenhaus Zuflucht gesucht?«, wollte Cindy wissen. »Konntest du eine einstweilige Verfügung gegen ihn erwirken?«
»Du musst es uns nicht erzählen«, sagte Marlena sanft.
»Ich habe es versucht«, erwiderte Marisa. »Aber sein Verhalten war so subtil, dass es keine rechtliche Handhabe gegen ihn gab. Als ich vor Gericht ging, um Opferschutz zu beantragen, meinte der Richter, wenn Ted nicht innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden versucht hätte, mich umzubringen, könne er den Antrag nicht genehmigen.«
»So ein Idiot«, schimpfte Marlena. »Lily musste genau die gleiche Erfahrung machen. Die Gerichte sind mit Blindheit geschlagen, was häusliche Gewalt angeht.«
»Das kannst du laut sagen«, bestätigte Cindy.
»Wieso passiert das ausgerechnet Frauen, die nach außen hin so stark wirken?« Marisa dachte an Lily mit ihrem klaren Blick und ihrer inneren Kraft, die ihr geholfen hatte, Roses Krankheit durchzustehen. »Ziehen wir solche Männer an?«
»Erstens solltest du die Schuld nicht bei dir suchen. Das haben wir Lily auch schon gesagt«, erklärte Marlena. »Ihr wart beide verletzlich. Du hattest deinen Mann verloren, und Lily hatte den Verlust ihrer Eltern nie richtig verwunden. Ihr Mann sah, dass sie mit dem Verkauf ihrer Stickmuster gutes Geld verdiente – und nahm sie aus wie eine Weihnachtsgans.«
»Bei meinem war es genauso. Er war hinter dem Geld her, das mir mein verstorbener Mann in Form eines Pensionsfonds hinterlassen hatte.«
»Vergesst nicht, ihr beide seid wunderbare Frauen. Wir haben alle unser Päckchen zu tragen, sehen uns verschiedenen Herausforderungen und Problemen gegenüber – so ist das nun mal im Leben. Es ist ein Glück, dass wir zusammengefunden haben – Frauen, die sich gegenseitig das Gefühl der Geborgenheit und Wärme vermitteln. Wir haben uns immer viel zu erzählen, stärken uns gegenseitig den Rücken und machen uns Mut.«
»Es geht nicht ausschließlich darum, sich Freiräume von unzulänglichen Ehemännern zu verschaffen«, sagte Cindy. »Im Grunde sind sie völlig nebensächlich. Wichtig ist, Freundschaften zu pflegen und Spaß zu haben.«
»Wir haben viele andere Dinge gemein«, fuhr Anne fort. »Abgesehen von Problemen und Sorgen.«
Marisa lächelte und erinnerte sich, wie Lily gesagt hatte: »Willkommen im Tauwetter.«
»Siehst du?«, sagte Marlena. »Es spielt keine Rolle, wie ihr heißt, das sind Äußerlichkeiten. Für uns zählen nur die inneren Werte, die aussagen, wer oder wie ihr wirklich seid.«
»Das weiß ich manchmal selber nicht«, flüsterte Marisa. »Es kommt mir so vor, als hätte ich mein wahres Ich irgendwo in weiter Ferne zurückgelassen …«
»Wir wissen aber, wer du bist«, entgegnete Anne. »Ein liebevoller Mensch, warmherzig, fürsorglich, aufgeschlossen. Eine Frau, die im Sommer den ganzen Nachmittag opfert, um sich um Lilys Laden zu kümmern, und Kiefernnadelkissen herstellt, um Geld für Rose aufzutreiben.«
»Danke«, sagte Marisa.
»Die Kiefernnadelkissen waren aber meine Idee«, warf Jessica ein, und alle lachten.
»Stimmt«, sagte Cindy.
»Ich möchte euch trotzdem unsere richtigen Namen verraten«, meinte Marisa. »Ich vertraue euch. Und er – Ted – lebt Hunderte von Meilen entfernt. Er hat keine Ahnung, wo wir stecken. Cape Hawk ist für ihn ein Buch mit sieben Siegeln. Er käme nie auf den Gedanken, dass wir hier untergetaucht sein könnten.«
»Nie im Leben.« Jessicas Augen hellten sich auf angesichts der Vorstellung, die Wahrheit sagen zu können.
»Wir versprechen hoch und heilig, dass kein einziges Wort diesen Raum verlässt«, meinte Anne. »Wir werden nicht einmal den anderen Nanouks etwas sagen, es sei denn, mit deinem ausdrücklichen Einverständnis.«
»Ich glaube euch auch so«, sagte Marisa.
»Ich auch«, fügte Jessica hinzu.
»Dann schieß los«, meinte Cindy.
»Wer seid ihr also wirklich?«, fragte Marlena grinsend.
Und Marisa nannte ihnen ihre richtigen
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