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Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)

Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)

Titel: Wolken über dem Meer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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sensibler Mensch. Er hatte durchaus Gefühle. Tief in seiner Seele empfand er den Schmerz eines gepeinigten Kindes und trauerte um das, was ihm vorenthalten worden war. Man hatte ihn aller Freuden beraubt, die ihm als Erwachsener zustanden – als Ehemann oder Vater. Er bedauerte sich aufrichtig selbst!
    Wie konnte jemand behaupten, er besäße kein Mitgefühl?
    Zum Teufel mit White Dawn, Patty Nanouk und seiner Angetrauten! Ob sich dahinter vielleicht ein und dieselbe Person verbarg? Ehrlich gestanden, war ihm das im Moment egal. Er hatte vorhin eine Pornoseite geöffnet, einen Chatroom für Inzest-Opfer und mit einem Mädchen Kontakt aufgenommen, das er gestern Abend online kennengelernt hatte, als er wegen der Panne in SpiritTown total frustriert gewesen war.
    Auch gut – dann eben nicht! Es gab schließlich noch jede Menge andere Foren im Netz, noch jede Menge andere mitleidige Seelen mit zu viel Geld und dem Bedürfnis, Gutes zu tun – nur her damit, Secret Agent hatte schließlich ein PayRight-Konto.
    Mit ›Secret Agent‹ musste allerdings ein für alle Mal Schluss sein. Dieser Name war absolut tabu, wenn er sich nicht die Finger verbrennen wollte. Von jetzt an, zumindest so lange, bis er einen interessanten Kunden an der Angel hatte, der eine einfallsreichere Strategie erforderte, würde er sich schlicht ›Edward‹ nennen.

    Patrick erreichte das Cape Hawk Inn in dem Moment, als die Sonne über dem Hafen unterging. Das letzte Walbeobachtungsboot näherte sich dem Kai, zog silbernes Kielwasser hinter sich her. Das Licht, das ihm bezüglich Maeve aufgegangen war, hatte ihn in abgrundtiefe Betrübnis gestürzt – er war der Meinung gewesen, dass ihre Beziehung auf beidseitigem Vertrauen gründete.
    Er hatte das Bedürfnis, hinunter ans Wasser zu gehen und ein Boot zu besteigen. Es behagte ihm nicht, wenn er zu lange festen Boden unter den Füßen hatte – er musste das Schwanken des Decks, die wogenden Wellen spüren. Er hoffte, dass es Flora, die gemeinsam mit Angelo die Probable Cause hütete, ohne ihn gutging. Doch mehr als alles andere hoffte er, dass er am Ende des heutigen Abends ein für alle Mal einen Schlussstrich unter diesen leidigen Fall ziehen konnte.
    Er schob diese Gedanken beiseite und stieg die Verandastufen zum Gasthof empor. In der Eingangshalle herrschte Hochbetrieb. Aus der Bar wehten Fetzen keltischer Musik herüber. Leute in Abendgarderobe betraten oder verließen den Speisesaal. Getränke wurden am offenen Kamin in der Lobby serviert, in dem ein Feuer prasselte. Auch im Juli war die Luft im Norden ein wenig kühl.
    Als er durch die Tür trat, fiel ihm auf Anhieb ein Halbkreis von Frauen ins Auge, deren Blicke auf ihn gerichtet waren. Die Frau, die ihn bei seiner Ankunft auf Cape Hawk begrüßt und ins Rose Gables geschickt hatte, bildete die Speerspitze; er bahnte sich einen Weg durch den Raum, um zu ihr zu gelangen. Die Frauen hinter ihr starrten ihn, ohne zu lächeln, an.
    »Wenn das nicht die Dame ist, die mir weismachen wollte, im Gasthof sei kein Zimmer mehr frei! Vielen Dank, dass Sie mich in die Casa Grillkäse geschickt haben. Geschickt eingefädelt, dieses Ablenkungsmanöver.«
    »Marlena bittet vielmals um Entschuldigung. Das habe ich ihr eingebrockt. Sie ist eine ausgezeichnete Köchin, aber ich habe ihr nicht früh genug Bescheid gesagt. Tut mir leid.«
    Er ignorierte die Entschuldigung. »Gibt es hier überhaupt eine Camille Neill?«
    »Ja. Ich bin ihre Schwiegertochter, Anne Neill.«
    »Aha, wenigstens das stimmt.«
    »Ja, aber bedauerlicherweise muss ich Ihnen sagen, dass sie jetzt wirklich schläft. Morgen früh ist sie wieder zu sprechen. Dann können Sie ihr so viele Fragen stellen, wie Sie möchten.«
    »Warum lassen Sie mich gegen die Wand laufen, wo es doch auf der Hand liegt, dass Sie Mara Jameson kennen?«
    »Wieso sollte das auf der Hand liegen?«, erwiderte Anne. Hochgewachsen und elegant, besaß sie eine Menge Übung im Umgang mit Menschen. Bei der Arbeit im Gasthof hatte sie es vermutlich oft mit Trunkenbolden und Begriffsstutzigen zu tun. Aber Patrick war mit seiner Geduld am Ende.
    »Lady«, antwortete er, um Höflichkeit bemüht. »Es liegt auf der Hand, weil Ihnen buchstäblich die Augen aus dem Kopf gefallen sind, als Sie einen Blick auf ihr Foto geworfen haben. Und weil Sie mich in die Pension der armen Marlena geschickt haben, um mich hinzuhalten – ganz schön leichtsinnig, übrigens. Schließlich wissen Sie nicht das Geringste von mir. Ich

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