Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)
Versuch wert.
Und so gingen zwei Mütter und zwei Töchter gemeinsam über die Laufplanke an Bord der Tecumseh II, damit die Geburtstagsparty beginnen konnte.
Um Punkt Viertel vor neun saß Liam in seinem Büro und beobachtete, wie Jude die Gäste an Bord der Tecumseh II in Empfang nahm. Der Parkplatz am Kai füllte sich mit Autos, und Mädchen mit ihren Müttern eilten über die Gangway, mit eingewickelten Geschenken, warmen Jacken, Fleece-Pullovern und Feldstechern beladen. Lily und Rose, mitten unter ihnen, gingen gerade mit einer anderen Frau und Jessica, dem kleinen Mädchen, das ihn zu Hilfe geholt hatte, an Bord.
Liam fühlte sich innerlich angespannt. Lag es an der bevorstehenden Geburtstagsparty? Oder hatte er Angst, dass Roses Glück, das ihr ins Gesicht geschrieben stand, trügerisch sein könnte? Er sah immer noch das Bild vor sich, das sie gestern geboten hatte – zusammengekauert neben der Statue, Angst und Erschöpfung in den großen grünen Augen.
Er versuchte, den Blick von dem Boot zu lösen, doch vergebens. Anne hatte sich zu Jude gesellt, redete auf ihn ein, schien ihm um den Bart zu gehen, den Arm um seine Taille gelegt – Liam lächelte beinahe wider Willen; sein Cousin hatte sich hoch und heilig geschworen, an den Wochenenden frei zu nehmen, komme, was da wolle. Anne versuchte wohl, ihm die Arbeit an einem Samstag zu versüßen. Liam sah die Zuneigung zwischen den beiden, was seine innere Anspannung aus irgendeinem unerfindlichen Grund noch verstärkte.
Liam war seit den frühen Morgenstunden damit beschäftigt, die Spuren verschiedener Haie, Wale und Delfine mit Hilfe des Senders zu verfolgen, mit denen die Tiere im Rahmen von C&R-Programmen zur Vermessung oder Ortung versehen worden waren. Er hatte noch eine Fülle von Daten zu erfassen und auszuwerten, doch inzwischen war es fast neun, und er übertrug die aktualisierte Version seines Projekts vom Desktop-Computer auf seinen Laptop. Diese Arbeit konnte er später von zu Hause aus erledigen. Er nahm seine dicke Strickjacke und seinen Seesack, dann sperrte er die Tür hinter sich zu.
Die Mannschaft machte die Leinen los, während Jude im Ruderhaus mit einem lang gezogenen Ton aus dem Horn verkündete, dass die Tecumseh II ablegte und die Bootstour begann. Die Geburtstagsgäste hatten sich auf dem Oberdeck eingefunden, die Gesichter dem Meer zugewandt. Alle, mit Ausnahme von Rose. Sie stand achtern und blickte zum Kai zurück – sie lächelte ihm zu.
Liam winkte ihr. Er schlenderte den Pier entlang, vorbei an den Fischerbooten, die nicht bei Morgengrauen mit der Ebbe ausgelaufen waren. Gerard stand an Deck und musterte ihn mit funkelnden Augen, als er vorüberging. Sie ignorierten einander – die Fronten waren abgesteckt, seit er die Delfinflosse zwischen den Fischabfällen auf dem Boden seines Bootes entdeckt hatte.
Liam stieg in sein Zodiac-Flachbodenboot, ließ den Yamaha-150er-Motor an und fuhr rückwärts ins Hafenbecken hinein. Die Tecumseh II war ihm ein gutes Stück voraus, aber er folgte in ihrem Kielwasser – ein blassgrüner Schaumstreifen, der eine Schneise in das spiegelglatte blaue Meer schlug, eine Wegmarkierung wie die ausgestreuten Brotkrumen von Hänsel und Gretel. Er hätte den Weg auch mit verbundenen Augen gefunden. Das Boot war unterwegs zu den Futtergründen – dem besten Platz, um Wale zu beobachten.
Liam redete sich ein, dass er sich auf einer Forschungsexkursion befand. Er hatte klare Signale von mindestens sieben auf Wanderschaft befindlichen Meeressäugern empfangen, die irgendwann am heutigen Tag die Gewässer von Cape Hawk erreichen würden. Von einem Walhai und einem großen weißen Hai wurden laufend Daten übertragen, ganz zu schweigen von den Walen und Delfinen, die bereits aus südlichen Gewässern eingetroffen waren. Er hatte sich praktisch selbst überzeugt, dass diese Spritztour zu den Futtergründen nichts – oder nur wenig – mit Rose Malones neuntem Geburtstag zu tun hatte.
Der Tag war wolkenlos und strahlend. Er beschloss, dem Signal von MS122 zu folgen (Meeressäuger 122, ein neunzehn Jahre altes Belugawal-Weibchen, auf dem Weg zu der Stelle, an der es geboren war). MS122 war eine lokale Berühmtheit, die sich großer Beliebtheit erfreute, und der Sommer verdiente erst dann seinen Namen, wenn sie auftauchte. Im Gegensatz zu den anderen Walen kam sie aus dem Norden – sie zog in die entgegengesetzte Richtung, schien den Winter mit Eis, Schnee und Nordlicht zu bevorzugen. Er
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