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Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)

Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)

Titel: Wolken über dem Meer: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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sie mich brauchte.«
    »Bestimmt war es so.« Lily dachte an Rose, wie sie mit drei gewesen war, an ihren Aufenthalt in dieser Klinik und die Zeit ohne sie, jede Sekunde zermürbend und schier unerträglich. »Was war mit deinem Urgroßvater?«
    »Er war schwer verwundet, befand sich hinter den feindlichen Linien. Er wurde in ein Feldlazarett gebracht, und es dauerte Monate, bis Nachrichten nach draußen gelangten. Zuerst war es nur ein Gerücht. Ein Hinweis, dass er möglicherweise doch überlebt haben könnte. Meine Urgroßmutter kümmerte sich nicht um das Gerede, denn sie wusste es besser. Sie wusste – tief in ihrem Herzen –, dass er zurückkommen würde. Und so war es, Lily. Er verbrachte einige Zeit in Kriegsgefangenschaft, doch danach kehrte er zu ihr zurück.«
    »Sie wusste es.«
    »Ja. Die ganze Zeit.«
    »Sie wartete auf ihn.«
    »Genau das ist der Punkt, Lily Malone. Rose ist eine Kämpferin, wirklich und wahrhaftig. Genau wie mein Urgroßvater ein Kämpfer war. Doch die wahre Heldin der Geschichte ist meine Urgroßmutter.«
    »Sie hat ihn nie aufgegeben.«
    »Richtig. Es gibt Dinge, für die es sich zu kämpfen lohnt, Lily. Und für die es sich zu warten lohnt.«
    Lily blickte ihn an; die Silhouette des Denkmals zeichnete sich hinter seinem Kopf ab, und ihr Herz klopfte. Er sprach von seiner Urgroßmutter, die ihren Mann über alles geliebt hatte, und der rätselhaften Verbindung zwischen den beiden, die keiner Briefe, Anrufe oder gesprochenen Worte bedurfte. Und er sprach von dem dreijährigen Liam Neill, der auf die Geburt seines Bruders gewartet hatte – erpicht darauf, ihn kennenzulernen und seine Mutter wiederzusehen. Und er sprach von Rose, die vor der letzten und wichtigsten Operation ihres Lebens stand, bei der man den alten VSD-Patch austauschen würde, ein für alle Mal. Er stand vor ihr, überragte sie um Haupteslänge, sein Gesicht keine Handbreit entfernt, wartend, und sie wusste, dass er auch auf etwas anderes anspielte.
    »Du hast Rose einmal als Phänomen bezeichnet und gesagt, du würdest mir irgendwann erklären, was du damit meinst. Sagst du es mir jetzt?«
    Er nickte. Dann legte er die Arme um sie – beide Arme, wobei sich der linke genauso sanft anfühlte wie der rechte. Ihre Knie drohten nachzugeben, und sie lehnte sich an ihn; ihr Herz klopfte so heftig, als wollte es ihre Brust sprengen und davonfliegen.
    »In der Nacht, als Rose geboren wurde … holte sie mich wieder ins Leben zurück.«
    Lily fehlten die Worte. Sie dachte wieder an die rasenden Schmerzen – sie hatte sich wie ein wildes Tier in ihrer Höhle verkrochen, traumatisiert durch die Geschehnisse, die sie zur Flucht nach Cape Hawk bewogen hatten, und nicht gewagt, in einer Klinik zu entbinden. Sie hatte Angst davor gehabt, dass ihr Mann sie aufspüren könnte oder das Klinikpersonal sie infolge des Presserummels erkennen und die Polizei benachrichtigen würde.
    Liam war der einzige Mensch, dem sie zu vertrauen wagte – weil ihr nichts anderes übriggeblieben war. Weil er zur Stelle gewesen war.
    »Sie hat dich ins Leben zurückgeholt?«, fragte sie schließlich.
    Er nickte, strich ihr das Haar aus den Augen, liebkoste ihre Wange.
    »Der Hai hat nicht nur das Leben meines Bruders zerstört, sondern meine ganze Familie.«
    »Er hat dir deinen Arm genommen.«
    »Er hat mir mein Herz genommen. Doch Rose und du, ihr habt es mir wiedergegeben.«
    »Du kanntest uns doch kaum …«
    »Ich weiß. Deshalb war es ja auch ein Phänomen, ein Wunder, das mir begegnete. In Gestalt einer Wildfremden – du. In einem Blockhaus mitten im Wald. Die ein kleines Mädchen zur Welt brachte. Und mir so weit vertraute, dass sie sich von mir helfen ließ.«
    »Ich habe dir voll und ganz vertraut«, flüsterte Lily, wohl wissend, dass dieser Umstand nach den Erfahrungen, die sie zur Flucht bewogen hatten, ebenfalls an ein Wunder grenzte.
    »Da ist noch etwas, was ich dir heute Abend zeigen wollte«, sagte Liam. »Falls es dir nichts ausmacht, eine kurze Fahrt mit mir zu unternehmen.«
    »Wohin du willst«, flüsterte sie.
    Der Beifahrersitz des Trucks war vollgepackt, so dass Lily den Laptop beiseiteräumen musste, als sie einstieg. Er durchquerte den Park, fuhr durch den steinernen Torbogen und den Hügel hinab in Richtung Stadt. Melbourne Harbor war taghell erleuchtet – Lichter brannten im Geschäftsviertel und in den Hotels, Restaurants und Wohnhäusern. Liam fuhr an der Zitadelle mit ihren alten Festungsmauern vorbei, die

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