Wolken über dem Meer: Roman (German Edition)
sie.
»Was immer wir wollen, Lily Malone.«
Der Strahl des Leuchtturms flammte wieder auf, erhellte die Bucht. Lily blickte Liam an und wusste – wenn sie den Kopf zur Seite drehte, in ebendiesem Moment, würde sie Nanny sehen. Den weißen Wal, den geheimnisumwitterten Beluga, der Rose nach Süden gefolgt war. Doch Lily konnte ihren Blick nicht abwenden. Sie war gebannt von Liams Augen, die ihre eigenen Geheimnisse und Wunder bargen.
Kapitel 19
P atrick Murphy saß im großen Salon der Probable Cause, Flora zu seinen Füßen, und sah sich im Internet Wale an. Vor allem Belugawale. Seltsam, wie viele Websites den Meeressäugern gewidmet waren. Überall wurden Bootstouren angeboten, an der Ostküste, an der Westküste, in Mexiko und Kanada. Doch nur wenige Orte konnten sich der Gegenwart des scheuen weißen Belugawals direkt vor ihrer Haustür rühmen.
Angelo saß auf Deck, rauchte eine Zigarre und hörte sich im Radio ein Baseballspiel der Yankees an.
»Toll. Die Bases sind allesamt besetzt. Kommst du rauf?«
»Gleich.«
»Erst lädst du mich zu Bier und Baseball ein, und dann lässt du mich alleine rumhocken! Was gibt’s da unten so Interessantes? Eine Zuckerpuppe im Chatroom?«
»Polizeiarbeit.«
»Du bist im Ruhestand, falls du es vergessen haben solltest.«
»Halt mal kurz die Klappe, ja?« Patrick stellte eine Liste mit den Namen aller Ortschaften zusammen, die Bootstouren anboten, um Belugawale zu beobachten. Er trank Cola, weil er Bier und stärkerem Alkohol vor acht Jahren abgeschworen hatte, doch inzwischen schwirrte ihm vom vielen Koffein der Kopf. Vielleicht lag es auch nur an der Aufregung, zu wissen, dass er auf eine heiße Spur gestoßen war.
»Du sagst mir, dass ich die Klappe halten soll? Mir, deinem besten Freund, der dir Nachos mitgebracht hat, verbietest du den Mund?«
»Tut mir leid, war nicht so gemeint. Ich mache mich nur gerade über Belugawale schlau.«
»Beluga? Wie der Kaviar?«
»Dachte ich auch, aber nichts dergleichen. Belugas sind weiße Wale.«
»Wie Moby Dick?«
»Hmm. Möglich. Muss ich Maeve fragen. Sie war Lehrerin – sie kennt sich da aus.«
»Mist, verdammter – geht es schon wieder um Mara Jameson? Sag, dass das nicht wahr ist. Was immer du da unten treibst, erzähl mir ja nicht, dass du einen weiteren Abend deines Lebens mit einem Fall vergeudest, bei dem nichts herausgekommen ist und weder jetzt noch in Zukunft etwas herauskommen wird.«
»Erzähl ich dir nicht.« Patrick hatte seine Liste beisammen und begann, sie genauer in Augenschein zu nehmen: Belugawale konnten während der Sommermonate an mehreren Stellen im kanadischen Golf von St. Lawrence beobachtet werden – in Neu-Fundland, New Brunswick, Nova Scotia und sogar in der Provinz Quebec. Die Walbeobachtungstouren, die angeboten wurden, starteten in Tadoussac, St. John, Gaspé, Cape Hawk und Chéticamp.
»Martinez hatte gerade einen Homerun«, drang Angelos Stimme zu ihm herunter. »Absolut spitze. Hast du verpasst.«
»Bleib dran, bin gleich oben.« Patrick versuchte, die Namen aller Anbieter solcher Touren ausfindig zu machen. Und dann? Sollte er jeden einzelnen anrufen und fragen, ob sie jemals eine Frau an Bord gehabt hatten, die aussah wie Mara Jameson?
»Die Yankees liegen 6:1 in Führung.«
»Bravo, Yanks, weiter so!«, rief Patrick und gab ›Mara Jameson, Belugawale‹ in die Suchmaschine ein. Nichts. Er versuchte ›Mara Jameson, Tadoussac‹, danach ›Mara Jameson, St. John‹ und so weiter. Polizeiarbeit war oft eine undankbare Aufgabe. Und jetzt wurde er nicht einmal mehr dafür bezahlt.
Sein Handy hatte in der geschlossenen Kabine keinen Empfang, deshalb kletterte er an Deck. Angelo warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu, der ihn daran erinnerte, wie Sandra ihn damals anzuschauen pflegte, als er Tag und Nacht damit beschäftigt war, den Fall Jameson zu lösen, und darüber seine Ehe zerstört hatte.
»Bleib dran«, sagte Patrick abermals und ging zum Bug, um ungestört zu telefonieren.
»Die Nachos werden kalt!«, rief Angelo. »Und mein Bier wird warm!«
Patrick verschloss mit einer Hand sein Ohr, um den Lärm im Hafen zu dämpfen – die Stimme seines Freundes eingeschlossen –, und wählte Maeves Nummer.
»Hallo?«
»Maeve. Ich habe eine Frage. Hat Mara irgendwann einmal von Walen gesprochen?«
»Wale?«
»Belugawale, weiße, wie die im Mystic Aquarium.«
Sie schwieg, dachte nach. »Nicht, dass ich wüsste.«
»Mmm.«
»Frag sie nach Moby Dick«, rief ihm
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