Wolken über der Wüste
aufgewachsen war.
Er blickte auf das Bild einer jungen blonden Frau mit dunklen Augen, das in einem einfachen Holzrahmen auf seinem Schreibtisch stand. Er versteckte Cecilys Bild immer, wenn sie zum Essen kam, was immer dann passierte, wenn das Smithsonian Institut ihr mal freigab. Er wollte nicht, dass sie wusste, wie viel er für sie empfand. Sie war Pathologin und arbeitete häufig mit dem FBI zusammen, wenn es um menschliche Überreste ging. Das war ein ziemlich gruseliger Beruf für eine sensible junge Frau, aber sie hatte immer davon geträumt, ihrem Stiefvater zu entkommen und einen richtigen Beruf zu erlernen. Tate hatte ihr das ermöglicht, sie hatte jedoch keine Ahnung, was sie ihm alles verdankte, und Tate war froh darüber. Er fühlte sich für sie verantwortlich, und sie war ihm sehr wichtig. Trotzdem hatte er nicht zugelassen, dass es zwischen ihnen zu sexuellen Kontakten kam. Er war ein Sioux, und sie war eine Weiße. Tate wollte nicht, dass aus einer solchen Verbindung möglicherweise ein Kind entstand, das später Identitätsprobleme hatte und nicht wusste, wohin es wirklich gehörte. Wenn das nicht gewesen wäre, hätte er den Gefühlen, die er für sie empfand, sicher schon längst nachgegeben. Cecily Peterson war zwar streng genommen keine Schönheit, aber sie war hübsch und schlank, und sie hatte Mut und Intelligenz und eine gehörige Portion Humor. Wenn Tate eine Schwäche hatte, dann war es die für Cecily. Und in der letzten Zeit musste er besonders viel an sie denken.
Pierce Huttons Anruf war gerade zur richtigen Zeit gekommen. Sein Auftrag würde eine Zeit lang Abstand zwischen ihm und Cecily schaffen und könnte Tates Widerstandskräfte ihr gegenüber wieder stärken. Das musste er immer hin und wieder mal tun, denn manchmal kostete es ihn schon eine Riesenüberwindung, sie nicht einfach an sich zu ziehen. Ein Mann von geringerer Willensstärke und mit weniger Skrupeln hätte das schon längst getan.
Wie sollte er jetzt vorgehen? Pierce hatte ihn gebeten, ihn mit zwei Männern in Freeport zu treffen. Aber einer seiner Kontaktleute hatte ihm gerade mitgeteilt, dass Pierce’ Maschine zwar gelandet sei, Pierce aber nie in dem Hotel aufgetaucht war, wo er unter einem Decknamen angemeldet war. Auch die junge Frau, die mit ihm kommen sollte, war nicht erschienen.
Das bedeutete, dass man Pierce geschnappt hatte. Tate konnte sich ziemlich gut vorstellen, wer dafür verantwortlich war. Philippe Sabon und Kurt Brauer hatten irgendetwas vor, und Pierce war ihnen irgendwie in die Quere gekommen.
Tate stand auf und streckte sich. Groß, schlank und kraftvoll zeichnte er sich vor dem schwachen Licht ab, das durch das Fenster fiel. Er strich sich langsam über den dicken schwarzen Zopf. Vielleicht war es albern, dass er sein langes Haar behielt, denn er lebte ja schließlich unter Weißen, aber er konnte immer noch nicht alle konventionellen Neigungen abschütteln, die seit Generationen in seiner Familie überliefert wurden. Dazu gehörte sein Glaube an einen Talisman, und sein langes Haar war ein mächtiger Talisman. Er hatte es ein einziges Mal schneiden lassen und hatte prompt bei einer geheimen Regierungsoperation einen Schuss in die Brust abbekommen, an dem er beinahe gestorben wäre. Seit der Zeit ließ er immer nur die Spitzen kürzen.
Er ging zum Schrank und nahm eine schmale Schachtel heraus. Die würde er brauchen. Dann rief er zwei seiner besten Leute an und verabredete sich mit ihnen. Wenn er daran dachte, was vor ihm lag, ging sein Puls schneller. Es könnte gefährlich werden, war aber auch eine spannende Abwechslung von der täglichen Routine.
Pierce, der in einem sehr viel kleineren Raum als Brianne eingesperrt war, versuchte das Schloss mit einer Büroklammer zu öffnen, die er in der Tischschublade gefunden hatte. Das alte Schloss schien rostig zu sein und bewegte sich nicht. Er fluchte und ließ die Büroklammer fallen. Wieder warf er sich gegen die Tür, sie gab jedoch nicht nach. Verdammt, das musste eine Stahltür sein. Er rieb sich die Schulter und sah nach oben, aber auch in diesem Raum war das vergitterte Fenster so hoch angebracht, dass er es nicht erreichen konnte.
Wie es Brianne wohl ging? Was machten sie mit ihr? Er war noch nie so wütend gewesen und hatte sich gleichzeitig so hilflos gefühlt. Die Vorstellung, ihr könnte etwas zustoßen, war unerträglich, aber er wusste nicht, wie er es verhindern könnte. Er knirschte mit den Zähnen, als er sich daran
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