Wolkenfern (German Edition)
dieser zaghaften Selbstzufriedenheit womöglich noch etwas weiter vorgewagt, doch sie spürte, wie ihr die Überdosis Süßes im Magen rumorte und sie wieder eine Gallenpille nehmen musste. Jeremiasz lud Jadzia zu einem Spaziergang ein, den er in der nächsten Woche mit seinen Bekannten durch Szczawno Zdrój machen wollte, das wäre nett, sie sei doch gar nicht fremd, ach was, sie seien doch alte Bekannte. Und sie sind so eine nette Gruppe von der Seniorenakademie; ein Mal im Monat machen sie einen Spaziergang in Wałbrzych und Umgebung – unter seiner bescheidenen Führung, denn er kennt diese Gegend wie seine Westentasche. Nächste Woche ist Szczawno dran, danach haben sie Biały Kamień geplant, Sobięcin, Nowe Miasto, und im Sommer wollen sie weiter weg, bis nach Zagórze, die Hängebrücke und die große Staumauer ansehen. Alles umsonst, nur Proviant müssen Sie sich mitnehmen und Schuhe, Frau Jadwiga, bequeme, denn in diesen eleganten Sandälchen werden Sie nicht weit kommen.
Siehst du, mein Kind, ein bisschen geh ich jetzt also doch unter die Leute, erzählte Jadzia Dominika am Telefon. Ich hab mit Jeremiasz Mucha geplaudert. Er ist wohl immer noch ein Homodingsbums, aber das muss man ihm lassen, er ist ein eleganter Mann, richtig kultiviert, Frau Jadwiga sagt er zu mir. Nächste Woche Sonntag machen wir einen Spaziergang, danach lädt er mich zu Pommes frites ein, wir mögen beide Pommes frites mit Ketchup. Wie kann das sein, mein Kind, da trifft man einmal einen sauberen, gut gekleideten Mann, mit dem man sich unterhalten kann, und dann stimmt was mit ihm nicht, seufzte sie, und Dominika, die kaum je mit ihrer Mutter einer Meinung war, lachte laut auf und gab ihr recht: Das finden übrigens viele Frauen, Mama, du hast recht. Jadzia und Jeremiasz Mucha! Dominika versuchte sich ihre Mutter im Sonntagsstaat vorzustellen, ganz in ihrer Lieblingsfarbe Dunkelrosa, die Handtasche passend zu den Schuhen, denn das ist das i-Tüpfelchen der Eleganz, Schuhe und Handtasche farblich abgestimmt, und Jeremiasz Mucha, diesen bunten Hund, auf der Bühne ein drittrangiger Schauspieler, der sein ganzes Talent in die Rolle seines Lebens als der offenkundigste Homodingsbums in Wałbrzych und Umgebung steckte. Als wollte er damit den Leuten diese Offenkundigkeit vor die Füße schleudern, während er sich gleichzeitig hinter der mahagonibraunen Połomski-Frisur versteckte, dem Nadelstreifenanzug mit der Blume im Knopfloch, seinen Schuhen, immer mit erhöhtem Absatz. Solche Schuhe, Fräulein Dominika, die kann man sich nur auf Bestellung beim Schuhmachermeister in der Ruska Straße in Wrocław machen lassen, hatte er einmal gesagt, als er ihren musternden Blick bemerkte, und Dominika hatte geglaubt, sie müsse sterben vor Scham, denn sie wollte den sympathischen Schauspieler nicht verletzen. Jeremiasz Mucha hatte ihr gesagt, sie sehe aus wie Ada Sari; in Zeiten, in denen andere sie mit einer Bohnenstange verglichen, einem Bügelbrett, einem Heuhaufen nach Blitzschlag, hatte er gesagt: Sie sehen aus wie Ada Sari. Dominika freute sich über diese Bekanntschaft, denn sie spürte, dass Jeremiasz Mucha zu den Menschen gehörte, die sich niemandem zufällig nähern. Sie dachte, dass sie bei ihrem nächsten Besuch unbedingt ein Bild von den beiden machen müsse, ihre Mutter und Jeremiasz Mucha auf einer Bank in Szczawno, beide mit einem Eis in der Hand.
Jadzia fuhr nach Szczawno zum verabredeten Treffen, aß Pommes frites, trank Cola, und von da an entwickelte sich ihre Freundschaft mit Jeremiasz Mucha, das heißt, eigentlich erreichte sie schnell eine Ebene, mit der beide zufrieden genug waren, um sie nicht verlassen zu wollen, denn jeder fand im anderen das, was ihm fehlte. Der alte Schauspieler sehnte sich im Grunde nach einer Familie, und wenn das Leben anders, besser und gerechter verlaufen wäre, hätte er ein Leben haben können wie diese weiche, rundliche Frau, die sich da auf ihre Bank in Szczawno setzte, dabei vorsichtig den Rock unter ihrem beträchtlichen Hinterteil glattzog und stundenlang von ihrer Tochter erzählte. Er hätte Jadzia sein können, Mutter und Witwe, und kein Homodingsbums, Sohn längst verstorbener Eltern, Enkel von Großeltern, an die er sich längst nicht mehr erinnerte, Liebhaber von Liebhabern, die sich seiner längst nicht mehr erinnerten, in einem Haus voller schwerer Möbel und Staub. Er blickte in Jadzias Gesicht mit der für ihren Hautton etwas zu dunklen Puderschicht, auf ihren kleinen Mund,
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