Wolkenfern (German Edition)
Jeremiasz Mucha, noch im Krankenhaus wurde ich schmählich verlassen, im Stich gelassen. Je mehr er von seinem Leid sprach, desto leichter fiel es Jadzia, zuzuhören, und die Tatsache, dass da ein Homodingsbums litt, trat mehr und mehr in den Hintergrund, denn ganz unzweifelhaft litt er auf menschliche Weise. Herr Jeremiasz, heilige Muttergottes, was haben Sie durchgemacht! Konrad hatte im Krankenhaus die Bekanntschaft eines Bergmanns namens Waldek gemacht, dem ein Transmissionsriemen eine Hand abgerissen hatte, zum Glück die linke, und er hatte sich wie ein junger Bursche verliebt, der Hurrikan der Liebe hatte ihn mitgerissen, obzwar verlassen, wünscht Jeremiasz Mucha ihnen Glück, er hegt keinen Groll; heilige Muttergottes, seufzte Jadzia, Hurrikan der Liebe, Herr Jeremiasz, Sie haben ein Herz aus Gold. Konrad und Bergmann Waldek sind in die Bieszczady gezogen, haben sich von der Abfindung des Bergmanns eine Hütte und ein Stück Land gekauft, nun betreiben sie erfolgreich einen Ferienbauernhof und lieben sich immer noch so wie am Anfang. So eine Liebe, Frau Jadwiga, so eine Liebe! Er indessen hatte sich im Zustand tiefster Melancholie auf einem Schiff verdingt. Im Zustand tiefster Melancholie – ach, Herr Jeremiasz, ich verstehe Sie ja so gut, Herr Jeremiasz, freute sich Jadzia. Aber – sich deshalb gleich auf einem Schiff verdingen? Auf einem schwedischen Ausflugsschiff! Jeremiasz Mucha war beim abendlichen Musikprogramm aufgetreten und hatte sich – nun, anders ließe es sich nicht sagen – sogar eines gewissen Erfolges erfreut, besonders bei den älteren Damen, obwohl es da einen Steward gab, ein Mann, Frau Jadwiga, ich sage Ihnen, ein Traum von einem Mann!, doch davon vielleicht ein andermal. Später, als die Verzweiflung abgeebbt und die Glut der schmerzlichen Erinnerungen erloschen war, war Jeremiasz für zwei Jahre nach Szczawno Zdrój gegangen und hatte bei Tanzabenden für die Kurgäste gesungen; und der ganze Saal singt mit, Geh fort, wenn der Morgen kommt, und so weiter, summte er, und Jadzia errötete beinahe. Sie hatten immer schon eine Stimme, Herr Jeremiasz, nicht so wie diese Heulbojen von heute. Und so hatte er gesungen, außer ihm noch drei Musiker in der Band, und er wolle ja nicht prahlen, aber sie konnten die Kurgäste ohne weiteres von den Stühlen reißen. Damals war Grażynka Rozpuch hier, sie arbeitete im Kurhaus in der Küche, erinnern Sie sich an sie, Frau Jadwiga? Die konnte tanzen! Ja, ja, das weiß ich wohl, Herr Jeremiasz, bekannte Jadzia nicht ohne Neid. Jeremiasz Mucha und Grażynka waren damals befreundet, er kam zu ihr zu Besuch, und sie teilten das Abendessen, das sie aus der Sanatoriumsküche mitbrachte, das waren harte Zeiten, Frau Jadwiga, wissen Sie noch, damals – leere Regale überall, und diese Grażynka, die brachte es fertig, einen Schinken herauszutragen, drei Brathähnchen und noch ein Glas Borschtsch, zwei Hefeschnecken in jeder Tasche, und mit alldem ging sie wie eine Ballerina, leichtfüßig wie auf Zehenspitzen. In Grażynkas kleinem Mietzimmer, inmitten eines unfassbaren Durcheinanders mit Kindern, Tieren und etlichen heruntergekommenen Hungerleidern, aßen sie die ganze Beute auf, saßen, sangen, hüpften auf den Matratzen, die den Fußboden bedeckten. Was konnte diese Frau tanzen, Frau Jadwiga! Später hat sich so ein Deutscher in sie verliebt, wie besoffen lief er herum, ach, wie er, Jeremiasz, von einer solchen Liebe träumte, sein ganzes Leben hatte er davon geträumt, dass sich in ihn wenigstens ein Mal einer so verlieben würde, und dass einer sich nur und extra für ihn im Wunschkonzert Liebeslieder bestellte. Ach, seufzte Jadzia, Herr Jeremiasz, wer hat nicht davon geträumt! Er, Jeremiasz Mucha, war es, der im Auftrag des Deutschen Jadzia wochenlang Geschenke, Blumen, Parfüm brachte, und jedes Mal hatte auch er etwas für seine Mühe bekommen, mal was von Dior, mal was von Hugo Boss, so spendabel war dieser Hans, der schließlich Grażynka gekriegt und mit nach Deutschland genommen hat. So einen Dior, den hat Dominika mir letzte Weihnachten gekauft, bemerkte Jadzia. Der ist auch wirklich gut, der Duft hält sich, wenn man ihn auf die Kleider sprüht. Jeremiasz Mucha jedenfalls war danach noch zwei Mal zum Geldverdienen ins Ausland gegangen, aber dann ist er schließlich doch für immer in die Heimat zurückgekehrt. In Szczawno Zdrój gehört ihm ein Teil von einem Haus, gleich nach dem Krieg ist seine Familie aus dem Osten hierhergekommen
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