Wolkenfern (German Edition)
Pilgerfahrt, aber sie gab sich noch nicht geschlagen. Fahr doch nach Szczawno Zdrój, Mama, sagte Dominika, stets bereit, im Internet nachzusehen, wann es ein Konzert mit Walzertanz, ein Folklorepicknick oder den Gastauftritt eines Kabaretts aus Wrocław oder gar Warschau geben würde. Wo nimmt dieser Computer seine ganzen Weisheiten her, er ist doch kleiner als der Fernseher?, wunderte sich Jadzia, aber sie genoss das Interesse der Tochter, die von London aus ihre Unternehmungen plante. Fahr hin, Mama, danach rufe ich dich an und du erzählst mir, wie es war; wenn ich im Sommer zu dir komme, gehen wir zusammen. Also fuhr Jadzia ein Mal mit dem Siebener nach Szczawno Zdrój, und noch ein zweites Mal, sie rang sich sogar dazu durch, die Preisschildchen von einigen Kleidungsstücken abzutrennen, die Dominika ihr geschickt hatte, denn unter den Touristen und Kurgästen wollte sie sich angemessen präsentieren. Ihre Tochter hat recht, das sind schöne Momente. Jadzia kauft sich ein Eis in der Waffel, sitzt im Kurpark, sieht den promenierenden Familien zu und kratzt alte Wunden wieder auf, bohrt neue an den Stellen, wo der Körper am weichsten und empfindlichsten ist; warum zum Beispiel haben andere Enkelkinder und sie nicht? Warum haben andere einen Mann, welcher Art auch immer, und sie ist seit so vielen Jahren Witwe? Warum hat eine wie Krysia Śledź immer noch eine Mutter auf dem Land, und sie hat niemanden? Warum ist Dominika so weit weg? Auf jede Zunge voll eisiger Süße kommt ein bitterer Gedanke Jadzias, und das Gleichgewicht bleibt erhalten, die Sonne scheint, die Vögel zwitschern.
Als sich an einem warmen Junisonntag ein älterer Herr in hellem Anzug zu Jadzia setzte, der nach Rasierwasser duftete, dass ihr schwindlig wurde, wollte sie schon sagen, sie schließe keine Bekanntschaften auf der Straße oder sie warte bereits auf jemanden, ich bin schon vergeben, bitte machen Sie sich keine falschen Vorstellungen. Aber dann begann der Mann zu sprechen, elegant wie immer, die Frau Nachbarin, ich hab doch gesagt, für die Frau Nachbarin nur Dunkelrosa oder Lavendelblau, und Jadzia erinnerte sich an die Stimme, die sie vor Jahren gleichzeitig so neugierig gemacht und gereizt hatte. Jeremiasz Mucha war es, ihr ehemaliger Nachbar, der Homodingsbums und Schauspieler! Sie wurde rot und brachte kein Wort heraus, denn was sollte man nach so vielen Jahren zu einem Nachbarn sagen, der kein Nachbar mehr war und dazu noch unter so tragischen Umständen aufgehört hatte, Nachbar zu sein? Doch Jeremiasz Mucha war ein Mann von Welt und wusste sich zu benehmen. Ich habe gehört, dass Ihre Tochter, das hübsche Fräulein Dominika, im Ausland weilt? Das war Wasser auf Jadzias Mühlen, über nichts redet sie so gern und ausführlich wie über ihre Tochter, aber ja, es entspann sich eine Unterhaltung, die so munter dahinplätscherte, dass sie nachher nicht einmal mehr sagen konnte, wann sie sich zu einem Kaffee einladen ließ, danach aßen sie je zwei Kugeln Eis mit Waffel und Schlagsahne, und als Jadzia sich ihre gerüschte Festtagsbluse bekleckerte, bot Jeremiasz Mucha ihr sein Taschentuch an. Frau Jadwiga, erlauben Sie, dass ich Ihnen mein Taschentuch reiche, sagte er, und Jadzia erinnerte sich wie durch einen Nebel an ein anderes weißes Taschentuch, das wie aus tiefer Vergangenheit winkte, und an den Ausländer, der sich damit unter dem Nussbaum im Zalesier Garten die kirschenverschmierten Hände abgewischt hatte. Pariser Schick! Jadzia wusste nicht, ob es sich gehörte, nach dem Mann zu fragen, mit dem Jeremiasz Mucha auf Piaskowa Góra zusammengelebt hatte; nach einer Ehefrau hätte sie gefragt, auch nach einem Ehemann, aber wie sollte sie nach so einem Homodingsbums fragen? Während sie sich darüber noch den Kopf zerbrach, kam der alte Schauspieler von selbst darauf zu sprechen. Ach, Frau Jadwiga, das Leben hat Ihnen und mir nichts erspart, wir beide haben seine grausamen Seiten zu spüren bekommen, ist es nicht so? Bei diesem »ist es nicht so« spürte Jadzia doch tatsächlich Tränen in ihren Augen aufsteigen, und sie seufzte nur aus tiefster Brust, wie es ihre Art war, ach, Herr Jeremiasz, wenn Sie wüssten! Als Jeremiasz und sein Konrad – denn Konrad hatte er geheißen, wie Jadzia erst jetzt erfuhr, Zootechniker von Beruf – in ihrer Wohnung auf Piaskowa Góra zusammengeschlagen worden waren, dämmerte leider das Ende ihrer Liebe herauf. Leider beschwor dieser Schock den Untergang unserer Liebe herauf, sagte
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