Wolkenfern (German Edition)
seufzte Róża, sie würden springen müssen, doch bevor sie das wagten, verloren sie das Gleichgewicht. Die Welt schlug Purzelbaum, der Himmel war auf der Erde, die Erde am Himmel, mit Bäumen, die kopfüber wuchsen, dem Kirchturm, der als Eiszapfen herunterhing, mit dem Fluss Kamionka, der strömte, als wäre nichts geschehen, mit zwei Paar Beinen in Filzstiefeln, die kurz aus dem Fluss ragten, zappelten, verschwanden.
Was für eine Dunkelheit herrschte unter Wasser, silbrig und dicht wie Quecksilber! Weder Róża noch Aniela erkannten, welche Gliedmaßen im Gewirr der blindlings zappelnden Hände und Beine zu wem gehörten, erst als sich zwei Hände umeinander schlossen, wussten sie es: Róża, dachte Aniela, Aniela, dachte Róża, während die Strömung sie immer weiter von Kamieńsk fortriss. Bei den Sandbänken, die »Jurata« 2 genannt wurden und wo im Sommer die Kinder spielten, überholten sie das Fass mit Tadeusz Kruk und trieben weiter, immer noch einander an den Händen haltend und ein Stück ihrer Bekleidung nach dem anderen verlierend. Seltsam, dass ich gar keine Kälte empfinde, dachte Róża, oder vielleicht auch Aniela, denn sie dachten gedankengleich, während sie dort trieben, in dieser Dunkelheit voll ertrunkener Sterne, die wirbelnd nach unten sanken, kantige Stückchen gespiegelten Lichts, die mit den Armen im Sand steckenblieben. Unter der zweiten Brücke waren die Teetanten schon nackt, ihre Falten verschwanden, die schlaffe Haut, ihr Haar wuchs lang, ihre Brüste, die vorher wie Sandsäckchen ausgesehen hatten, wurden rund und voll, schön!, seufzte Róża, und auch Aniela seufzte: schön!
Die plötzliche Schönheit der verwandelten Teetanten würde niemanden entzücken außer den betrunkenen Bahnwärter Wacław Pająk. Nach dem Krieg hatte er die Stelle von Barnaba Midziak übernommen, doch wie sich dann herausstellte, weckten die Züge in ihm eine solche Traurigkeit, dass er zu trinken begann, um irgendwie ihr tägliches Entschwinden in die Ferne ertragen zu können, und wenn er sich betrank, wurde es ihm noch trübseliger zumute.
Jede Seele preiset Gott, stöhnte er und starrte wie gebannt ins Wasser. Nixen? Tatsächlich, Nixen! Wacław Pająk wird es später beschwören und sich mit der Faust in die magere Brust schlagen, dass er zwei Nixen in der Kamionka gesehen hat, zwei lebendige Nixen! Auf der Brücke hatte er gestanden, denn, pardon, er musste pinkeln, in seinem Alter und Zustand dauert das eine Weile, und als er gepinkelt hatte, blieb er noch eine Weile stehen, weil er vergessen hatte, aus welcher Richtung er gekommen war und in welche Richtung er hatte gehen wollen und ob er überhaupt irgendwohin gehen wollte oder von irgendwoher kam. Auf der einen Seite von der Stelle, wo er stand, war Brücke, und auf der anderen Seite war auch Brücke, wie sollte er da entscheiden, wenn es auf der einen Seite der Brücke ganz dunkel war und auf der anderen auch. Deshalb also stand Wacław Pająk da und wartete auf ein Zeichen, er schaute ins Wasser, und plötzlich – heilige Maria und sämtliche Schutzpatrone! –, da sieht er im Wasser langes Haar, gelockt, golden, leuchtend golden, zwei Köpfe, vier Arme und keine Beine, sondern Schwänze, zwei Fischschwänze, und mit den Schwänzen klatschten die Nixen, klatsch!, und dieses Klatschen schnitt wie ein Messer durch die nächtliche Stille auf der Brücke. Platschen und Klatschen der Fischschwänze, Glanz der Schuppen, Wirbel, Leuchten, Sternenstaub, Nixen, Nixen in der Kamionka, etwas Schöneres wird er im Leben nicht wieder sehen, daran hatte Wacław Pająk, der Bahnwärter von der Kamieńsker Eisenbahnstation keinen Zweifel. Weder die Ehefrau noch das elektrische Licht, das ihm in die Bude gelegt wurde, noch der Festschmaus zu Weihnachten sollten ihm mehr etwas bedeuten, von dieser Nacht an hatte er im Schlafen und im Wachen nur noch die Nixen im Kopf, ach, wenn ihn doch einmal ein Zug ins Land der Nixen mitnehmen könnte, dann wäre er glücklich und würde aufhören zu trinken. Der Frühling kam, Bahnwärter Wacław Pająk träumte immer noch von den Nixen in der Kamionka und verschlief den Frühexpress nach Warschau sowie den Personenzug nach Radomsko, erst ein gewaltiger Knall weckte ihn auf, als der Güterzug auf den Personenzug auffuhr, entgleiste und sich ein paar Tonnen Zucker, die er nach Breslau bringen sollte, über den Bahndamm ergossen. Die Kinder von Kamieńsk schlugen sich die Bäuche mit Süßem voll wie noch nie, und
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