Wolkenfern (German Edition)
die besonders Gerissenen kamen gleich mit Säcken gelaufen, und ruck zuck handelten sie schon damit. Wacław Pająk musste zwei Jahre in der Strafanstalt in Radomsko einsitzen, wo es ihm nicht schlecht erging, denn er hatte Kost und Logis, und seine Frau konnte ihm ab und zu in einem ausgehöhlten Brotlaib eine Flasche zuschmuggeln. Dort begann er zu lesen, obwohl er vorher nie eine Neigung zu Büchern gehabt hatte, und am besten las es sich für ihn, wenn es um Nixen oder Sirenen ging, dann las er so lange, bis etwas in ihm ganz von selbst zu deklamieren begann, und er konnte nicht aufhören. Zuerst wirst du zu den Sirenen kommen, die alle Männer betören, die es dorthin verschlägt. Jeder, der sich ihnen unwissend nähert und ihren Stimmen lauscht, er wird nie sehen, wie sich seine Frau und kleinen Kinder seiner Heimkehr freuen, denn so werden ihn die Sirenen mit ihrem süßtönenden Gesang betören. Wacław Pająk kam aus dem Gefängnis, und sobald er in der Kneipe Kurka Platz genommen hatte, die an der Stelle von Tadeusz Kruks Friseursalon aufgemacht hatte, fing er an, von den Nixen und Sirenen zu erzählen.
In den zwei Jahren, in denen er gesessen hatte, hatte er ein solches Redetalent entwickelt, dass die Männer still wurden, die Witze verebbten, einer dem anderen zuzischte: Halt den Schnabel!, allerdings mit spöttisch verzogenem Gesicht, ach, was die für ein Aufhebens machten um einen ehemaligen Bahnwärter, dass sie dieses wirre Gerede ernst nahmen, tu-tuuut, Sirenen wollte der Kerl, der Schnaps hatte ihm das Gehirn verätzt. Keiner wollte zugeben, dass sie wirklich neugierig auf diese süßtönenden Sirenen waren, diese mit ihren Fischschwänzen klatschenden Nixen, diese weiblichen Wasserwesen, die sich vorher nie nach Kamieńsk verirrt hatten. Und dann, sagte der ehemalige Bahnwärter Wacław Pająk, als ich da auf der Brücke stand und grübelte – Sirenen! Zuallererst hab ich so eine Art Gesang gehört. Und was für einen! Nicht so ein Geheul, eher so wie im besten Warschauer Tanzlokal, so einen Gesang hört man in keinem Radio! Ganz leise, und doch irgendwie laut, so richtig zu Herzen ging das. Das war der süßtönende Gesang der Sirenen! Süßtönend, murmelte dieser oder jener leise vor sich hin, und Mariusz Gwóźdź, Mariannas Neffe, fragte: süß-was?, aber sie brachten ihn zum Schweigen, denn er galt als nicht ganz richtig im Kopf. Wacław Pająk nahm indessen einen Schluck aus dem Seidel und schloss die Augen, in der wieder eingetretenen Stille hörte man nur das Schnaufen der asthmatischen Barfrau Krysia. Der Bahnwärter öffnete die Augen, blickte aber so, als sehe er etwas ganz anderes als die Übrigen und auch nicht hier, in der Kneipe Kurka, sondern in weiter Ferne, und er sagte: So soll ich allein es sein, der ihrem Gesange lauschen darf, doch wird man mich an des Mastes Baum binden müssen. Heilige Muttergottes, schnaufte die Barfrau Krysia, an den Baum binden, das ist aber doch ein bisschen wild, Herr Pająk. Erzählen Sie doch mal besser alles schön von Anfang an. Also, das war so, fuhr Wacław Pająk mit seinen eigenen Worten fort, ich hab mich von der Brücke runtergebeugt, und sie haben zu mir, Wacław Pająk, gesprochen, doch wenn eine Nixe redet, dann nur mit Gesang wie in der Opa, in süßtönendem Gesang. So eine Nixe braucht auch nichts fragen, an den Augen liest sie den Namen von Mensch oder Tier ab, und nur vom Berühren weiß sie, wie ein Ding heißt, und zwar in jeder Sprache. Auf Tschechoslowakisch, auf Russki, auf Afrikanisch, auf Französisch! Wacław Pająk, haben sie da in ihrem Gesang zu mir gesagt, du stehst nicht zufällig da auf der Brücke, o nein, wir haben nämlich einen Plan. Wir haben dich auserwählt, denn du bist ein anständiger Mensch, und wir können einen anständigen Menschen gleich erkennen, denn unser Blick dringt bis ins Herz. Pssst! Barfrau Krysia brachte die zum Schweigen, die nun losprusteten, weil sie nicht ganz glauben konnten, dass sich die Nixen mit goldenem Haar ausgerechnet den Säufer Wacław Pająk ausgesucht hatten, der auf jeder Arbeitsstelle rausgeworfen wurde. Wacław!, riefen sie mit ihrem süßtönenden Gesang, halb aus dem Wasser auftauchend, und ihre nackten Brüste waren weiß wie Schnee, wie Sahne. Sie sangen so harmonisch, wie mit einer Stimme, obwohl sie doch zwei Münder hatten. Wacław Pająk!, so sangen sie mich namentlich an. Und was für eine süße Stimme sie hatten, die hätte man trinken mögen wie Wodka. Gütige
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