Wolkenfern (German Edition)
ausgesprochenes Talent zur Friseuse, aber die Kundinnen lauschten gern ihrem Geplapper, sogar die, die sich über ihre Attraktivität ärgerten und über den Eindruck, den sie auf die Männer in Kamieńsk machte. Sie ließen den Neid draußen vor der Schwelle von Tadeusz Kruks Friseurgeschäft und sagten: Hinten etwas kürzer, Fräulein Grażynka, und in der Stirn bitte stufig mit einer Welle nach links, und Grażynka frisierte, so gut sie konnte, und redete viel mehr als früher, wenn man sie in Gesellschaft der Teetanten sah. Nach ein paar Tagen schon kam das Gerücht in Umlauf, Grażynka Rozpuch erzähle bei der Arbeit haarsträubende Geschichten, man könne kaum sagen, um was es ging, es waren keine Prophezeiungen, wie Zigeunerinnen sie machen, doch betrafen sie Zukünftiges, und nach dem Verlassen des Friseursalons mit frisch frisiertem Kopf verspüre man den Zwang, etwas zu machen, an das man vorher noch nie gedacht hatte. Marianna Gwóźdź zum Beispiel war angeblich ins Geschäft gerannt und hatte zehn Schulhefte gekauft, und Franciszka Pylek, hieß es, war nach Hause geeilt und kurz darauf mit einem Armvoll Röcken und Kleidern beim Schneider erschienen, der die Säume kürzen sollte.
Während Grażynka arbeitete, saß Tadeusz Kruk so, dass er sie ganz von hinten sah und ihr Gesicht im Spiegel. Jede Bewegung Grażynkas versetzte den Spiegel wie Wasser in eine wogende Bewegung, und dem Friseur wurde schwindlig beim Anblick des Aufblitzens der Schere, die die glänzende Fläche durchschnitt. Manchmal hatte er das Gefühl, er und die Grażynka im Spiegel seien ein und dasselbe, er sei Grażynka Rozpuch mit den vollen Brüsten und den hohen Hinterbacken, und ihn durchströmte ein Glücksgefühl, wie er es nicht einmal beim Scheren der Frauen im Lager empfunden hatte. Manchmal trafen sich Grażynkas Blicke mit denen des Friseurs im plötzlichen Aufblinken eines Lichtstrahls, und er sah in ihren Augen, was er selbst fühlte: den Wunsch zu verschmelzen und zu einem zu werden, denn ihre Augen waren die seinen. Grażynka selbst indessen sah ein Männlein mit dem Gesicht einer alternden Schildkröte und wollte ihn retten. Tadeusz Kruk beschloss, Grażynka zu heiraten, sobald wie möglich, doch die praktische Seite seines Wesens riet ihm, es sei besser, das auf gottgefälligem Wege zu tun und den Segen der Teetanten einzuholen. Viel hatten sie ja nicht, die Napoleonhütte und ein Stückchen Garten, aber ewig würden sie nicht leben, und es wäre besser, wenn sie Grażynka nicht enterben und ihre Hütte einem Museum vermachen würden. Für den Besuch kleidete sich Tadeusz Kruk sorgfältig in seinen kaum getragenen Vorkriegsanzug, den er seinerzeit in Radomsko erstanden hatte, schlüpfte in seine frisch geputzten Schuhe und zog die nach Mottenkugeln riechende Herbstjacke über. Im letzten Moment pulte er noch mit der Schere ein wenig Schmutz unter einem Fingernagel heraus und putzte sich sorgfältig das Schmalz aus den Ohren, als erwarte er, dass die Teetanten gleich eingangs eine Sauberkeitskontrolle durchführten. Er hatte einen Schweinenacken für sie als Geschenk, ein ansehnliches Stück, fertig zum Braten, und der Eleganz halber hatte er auch zwei Flakons Parfüm und einen Blumenstrauß besorgt. Er war froh, dass der Besuch auf einen Tag fiel, an dem Grażynka in Radomsko war, denn er fürchtete, die Sache zu verpfuschen, wenn die Frau, für die er in Liebe zerfloss, anwesend gewesen wäre.
Tadeusz Kruk nahm am Tisch Platz, gegenüber den Teetanten, beide in Blusen mit großer Schleife unter dem Kinn. Różas Bluse war hellgrün wie Wasser, Anielas lila wie Irrlichter im Moor. Nach der Begrüßung in der Napoleonhütte trat Stille ein, und der Friseur begann nervös mit den Fingern auf die hölzerne Tischplatte zu trommeln, er roch den Lavendelduft und den frisch aufgebrühten schwarzen Tee, Schweiß trat ihm aus allen Poren. Den Teetanten stieg der Geruch des Bösen in die Nase, und sie wussten sogleich, dass er noch stärker geworden war, seit sie Tadeusz Kruk das letzte Mal gerochen hatten. Sie seufzten wie aus einem Mund, die Uhr schlug die volle Stunde. War es Aniela, die ein Zeichen gab, oder stand Róża von sich aus auf, um die Kristallkaraffe mit dem Johannisbeerlikör aus der Kredenz zu nehmen. Die schwarze Johannisbeere, eine herbe Frucht mit viel Vitamin C und einem ganz zarten Hauch von Leiche, war wie keine andere Frucht in der Lage, andere Aromen, Düfte und Farben zu übertönen. Eine gesunde und
Weitere Kostenlose Bücher