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Wolkenfern (German Edition)

Wolkenfern (German Edition)

Titel: Wolkenfern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joanna Bator
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Gesang betört, umgarnt und in den Wassertod gezogen haben. Jawohl, das war logisch. Sie waren ja übrigens immer so ein bisschen verquer und gegen den Strich gewesen. Warum wohl hatte man ausgerechnet ihnen Grażynka vor die Tür gelegt? Vielleicht war Grażynka die Tochter der Teetanten mit Friseur Kruk?, meinte die Barfrau Krysia, und keiner wandte ein, wie das denn möglich sein konnte, ein Kind könne doch nicht zwei Mütter haben, denn für sie alle lag es merkwürdigerweise auf der Hand, dass die eine Teetante nur hätte schwanger sein können, wenn die andere es auch war. Ein anderer wollte beschwören, er hätte gesehen, wie sie nachts auf den Resten des jüdischen Friedhofs herumstrichen, und sie hätten es genauso gemacht wie die Juden vor dem Krieg und mit den Toten gesprochen, dabei waren sie doch gar keine Jüdinnen. Hawa, Tochter des Moshe, Frau des Ludek!, riefen sie und fingen an, ihr zu erzählen, was in Kamieńsk so passiert. Dabei waren Hawa und Ludek doch beide in Treblinka in Rauch aufgegangen und hatten gar kein Grab in Kamieńsk. Und dann diese Ausflüge ins Moor! Angeblich zum Preiselbeerensammeln, aber welche Frau geht denn im Moor Preiselbeeren sammeln, wo doch jedes Kind weiß, dass dort die Toten irrlichtern und einen am Bein in den Sumpf ziehen. Und diese Liköre, die sie zubereiteten! Zum Tee luden sie, ganz höflich baten sie auf einen Tee und ein Gläschen, wer würde da nein sagen, aber danach, da passierten komische Sachen. Ich, erinnerte sich Marianna Gwóźdź, ich hab ihnen mal beim Jäten geholfen, und danach die beiden: Ach, Frau Marianna, ein Gläschen Himbeerlikör mögen Sie doch – ich hab’s getrunken, und da war eine solche Süße in diesem Himbeerlikör, dass ich mit der Zunge den Rest aus dem Glas geleckt hab, egal ob ich zu Besuch war oder nicht, ich konnte einfach nicht anders. Erst war nichts, aber dann, heilige Mutter Maria! Als hätte mich einer innen mit Pfeffer und Zucker bestreut, es hat gebrannt, aber süß, ganz süß war mir zumute, aber auch irgendwie pfeffrig. Ich wusste nicht, wohin mit mir selbst, keine Arbeit wollte mir gelingen, kaum hatte ich mich ans Strümpfestopfen gesetzt, ließ mich etwas hinauf auf den Dachboden rennen und zu den Sternen gucken wie die Kuh aufs Tor. Etwas ganz Ähnliches hatte Mariannas Neffe erlebt, Mariusz Gwóźdź, der bei den Teetanten die Dachrinne vom Herbstlaub gesäubert hatte. Er stieg vom Dach, bekam seinen Lohn und hatte sich schon angeschickt zu gehen, aber die beiden gleich: Ach, Herr Mariusz, Sie werden sich doch ein Gläschen genehmigen? Pfirsichlikör, hatte Róża gesagt, oder vielleicht auch Aniela. In dem kleinen Kristallglas war ein Glanz, als hätten sie pure Sonne hineingegossen. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt und alles runter auf einen Zug. Du lieber Himmel, das hat ihn vielleicht durcheinandergewirbelt! Anstatt nach Hause zu gehen, setzte sich Mariusz Gwóźdź unter einen Baum und war auf einmal nicht mehr Mariusz Gwóźdź aus Kamieńsk, der auf Maurer lernte, sondern ein ganz anderer, irgendwie größer und einfacher, ohne diese Pickel, die er immer hatte. Er ging durch eine Stadt, noch schöner als Tschenstochau, voller Licht, das pfirsichfarben war, und mit pfirsichfarbenen Fassaden, Frauen gingen vorüber in Kleidern, wie er sie noch nie gesehen hatte, aber er wusste, dass dieser Stoff, der sich da so um Busen und Hüften legte und dem Wind sich hingab, dass das Seide war. Er, Mariusz Gwóźdź, der in seinem Leben an keine anderen Stoffe gedacht hatte als an Baustoffe, der spürte fast, wie sich die Seide anfühlte. Dunkelhaarige Frauen erwiderten sein Lächeln, nickten ihm zu, gestikulierten, an ihren Armen klirrten silberne Armreifen, aber er hielt sich nicht auf, er suchte etwas anderes oder jemand anderen. Zum ersten Mal hatte er dieses starke Gefühl, dass es etwas gab, was er finden musste, dass es irgendwo auf ihn wartete und dass er, Mariusz Gwóźdź aus Kamieńsk, sterben würde, wenn er es nicht wenigstens versuchte. Er hatte auch noch einen Fluss gesehen, der war so groß wie tausend Kamionkas, eine Brücke, die von steinernen Gestalten bewacht wurde, und am anderen Ende winkte ihm jemand zu, und gerade wollte er loslaufen, als sein Schulfreund Paweł Lepianka ihm einen Klaps auf den Kopf gab und fragte, was glotzt du so wie ein Zigeuner auf die Fotze? Mariusz Gwóźdź erzählte allerdings keinem, dass er seit jenem Tag jeden Groschen von seinem schwarz verdienten Geld auf

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