Wolkengaukler
aber ich kann nicht Janns intimste Geheimnisse ausplaudern.“ – Du bist gut, war das eben denn nicht schon intim genug gewesen?! – „Aber ich denke, ich kann da durchaus meinem Instinkt vertrauen. Die Zeichen sind eindeutig...!“
Tante Melanie schien jedoch noch nicht fertig zu sein. Mit bewusst einfühlsamer Stimme fragte sie vorsichtig: „Dir ist aber klar, dass du ihn nach diesen vier Wochen gehen lassen musst?“
Eine lange Pause folgte, dann Christophs Stimme, leise und traurig: „Ja, ich weiß.“
Ein Seufzer von Tante Melanie: „Armer Junge, dass du immer alles zweimal durchmachen musst. – Hast du denn schon mal wieder was von Falk gehört?“
Ich horchte auf: wer war Falk?
„Nein, er ist immer noch in Neuseeland, kommt wohl erst zu Weihnachten zurück. Aber dann bin ich ja nicht hier.“ Christophs Stimme klang immer noch traurig, resigniert, fast mit einer Spur Sehnsucht. Ich durchforstete mein Gedächtnis, aber der Name Falk war bisher noch nie gefallen und sagte mir demzufolge gar nichts.
Tante Melanies nächste Frage ließ mir für einen Moment den Atem stocken: „Irgendwie liebst du ihn immer noch, nicht wahr?“
Was sollte das denn jetzt bedeuten? Ich hörte Stuhlbeine über den Boden schaben. Christoph schien aufzustehen. Kam er hoch? Dann musste ich schleunigst von der Treppe verschwinden, bevor er mich hier auf meinem Horchposten entdeckte! Aber ich wollte unbedingt noch seine Antwort abwarten. Bereit zum Sprung die Treppe hinauf verharrte ich reglos. Dann hörte ich ihn:
„Ich weiß nicht, wahrscheinlich schon. Hört man eigentlich jemals damit auf?“
Dann klappte die Tür zum unteren Badezimmer. Er kam also nicht hierher, und ich entspannte mich wieder. Tante Melanie seufzte noch einmal: „Warum ist bei uns immer alles so schwierig?“ Auf diese Frage erhielt sie allerdings keine Antwort.
Ich schlich zurück in mein Zimmer. Falk!
Wer zum Kuckuck war Falk?!
Warum hatte Christoph ihn geliebt, und warum tat er es immer noch?
Und noch schlimmer: warum hatte er mir bisher noch nichts von ihm erzählt? Hatte er es nur vergessen oder absichtlich nicht getan?
Mir wurde plötzlich bewusst, wie wenig ich eigentlich über meinen Cousin wusste, und ich bedauerte, dass ich nicht wie er die Gabe besaß, selbst in seine Seele hineinzuschauen. Aber man sieht den Menschen halt nur vor die Stirn. Die Welt dahinter musste mir Christoph von sich aus offenbaren, und ich hatte das sichere Gefühl, dass er das bald tun musste, um nicht den feinen Faden, der begonnen hatte, sich zwischen uns zu spinnen, vorzeitig zerreißen zu lassen.
V
Den ganzen Vormittag über arbeiteten wir in Tante Melanies Garten. Der Rasen musste gemäht, der Schuppen aufgeräumt und die Terrasse gekehrt werden. Außerdem sollten wir das Rosenspalier reparieren, das unter den letzten Wintern stark gelitten hatte. Da war handwerkliches Geschick gefragt, und ich merkte schnell, dass der angehende Architekt neben mir mehr konnte, als einen Nagel in die Wand zu schlagen. Die Sonne brannte vom leuchtendblauen Himmel auf uns herunter, ihre Strahlen versengten unsere Haut, aber Christophs Nähe versengte mir fast das Herz. Schon bald zogen wir die T-Shirts aus und liefen nur noch in Shorts herum.
Tante Melanie bestand darauf, dass wir uns mit Sonnenmilch eincremten, was wir natürlich gerne taten: eine Chance mehr, ganz zwang- und hemmungslos den Körper des anderen berühren, streicheln und liebkosen zu können.
Christoph sammelte Fallobst auf, während ich die verblühten Rosen abschnitt. Mit einem Auge schielte ich jedoch immer zu ihm hinüber, um heimlich den Anblick seines halbnackten Körpers zu genießen. In einem dieser unachtsamen Momente griff ich dann auch prompt daneben und genau in eine Dorne. „Autsch! Ach, verdammt!“ Fluchend befreite ich meinen Finger aus dem Dornengewirr. Christoph kam sofort herübergelaufen.
„Zeig mal her!“ Damit nahm er meine verletzte Hand und begutachtete den schmerzenden Zeigefinger, zog vorsichtig einen Dorn aus der Spitze. Glücklicherweise blutete es nicht.
„Geht schon wieder“, murmelte ich und wollte ihm meine Hand entziehen. Er sollte nicht glauben, dass ich wehleidig war!
Doch Christoph hielt sie mit sanfter Gewalt fest. „Noch nicht!“, raunte er verführerisch und führte meinen Finger an seine Lippen. Sein Blick fing den meinen auf, während er vorsichtig den Finger in den Mund nahm. In mir begann es zu kribbeln. Ich wusste, er dachte in diesem Moment an
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