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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anett Leunig
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erzählte oder von neu erschienenen Büchern berichtete, die mich fesselten.
    „Man merkt, dass du sehr von deiner Arbeit angetan bist. Es macht dir offensichtlich richtig Spaß, mit Büchern umzugehen“, meinte Tante Melanie, als ich wieder einmal mit leuchtenden Augen aus einem Buch zitiert hatte, das mir kürzlich in die Hände gefallen war. „Willst du vielleicht später einmal in die literarische Richtung gehen?“
    Augenblicklich verstummte ich und presste die Lippen zu einem dünnen Strich zusammen. Christoph hob erstaunt eine Augenbraue, wie er es immer tat, wenn ihn etwas ehrlich überraschte.
    „Ich weiß noch nicht... Ich glaube...“, stammelte ich verlegen, und dann mit einem schmerzlichen Seufzer: „Ich denke, nicht.“ Bitte schön, da hatten sie es!
    Tante Melanie schien regelrecht verwirrt. „Was? Wieso denn nicht? Ich glaube, dass das gerade dein ganz spezielles Metier ist. So gut, wie du mit Worten umgehst, so gefühlvoll und ausdrucksstark! Was hast du dir denn stattdessen vorgestellt?“
    Ich hatte gehofft, das Gespräch wäre nicht auf dieses Thema gekommen. Aber da wir nun einmal davon sprachen, musste es jetzt heraus: „Vater will, dass ich Pharmazie studiere. Damit ich später mal bei ihm einsteigen und sein Geschäft übernehmen kann. Apotheker ist doch ein guter Beruf, oder? Anspruchsvoll und interessant... Vater sagt, man trägt da eine Menge Verantwortung, besonders für die Gesundheit der Kunden. Sie vertrauen einem und das ist viel wert, nicht wahr...?“ Dass es auch ein harter Job war, der viel Zeit und Nerven kostete, vor allem aber Privatleben und Familie in den Schatten stellte, ließ ich unter den Tisch fallen, auch wenn ich es täglich am eigenen Leib spürte.
    Tante Melanie wurde blass, und Christoph lehnte sich mit zusammengezogenen Augenbrauen in seinem Stuhl zurück. Aber ich fühlte mich verpflichtet, die Sache meines Vaters, die auch die meine werden sollte, in den schillerndsten Farben darzustellen. Es klang allerdings eher danach, als würde ich meine Ehre verteidigen.
    „Also dieser Beruf ist bestimmt sehr schön, macht Spaß und bringt vor allem Geld. Damit kann ich mir ja dann Bücher kaufen und so. Von Literaturwissenschaften kann man nicht leben. Ich brauche ein solides Standbein, worauf ich meine Extise...“, ich verhaspelte mich. Offensichtlich hatte ich Vaters Worte doch noch nicht richtig verinnerlicht. Ich holte noch einmal tief Luft und setzte neu an: „...Existenz aufbauen kann. Alles andere wird sich dann schon finden. Glaube ich.“
    Die letzten Sätze kamen etwas kleinlaut heraus. Tante Melanies entrüsteter Gesichtsausdruck lastete auf mir wie ein schwerer Leinensack, rau und unangenehm. Ich empfand ihn als gerechte Strafe für meine Lügen. Sie schnaubte, aber es war Christoph, der ruhig und sachlich resümierte: „Schön, jetzt wissen wir ja, was dein Vater denkt, und vor allem, wie gut er dich kennt. Aber was willst DU?“ Damit beugte er sich vor und sah mir tief in die Augen. Wieder dieser funkelnde Blick aus Diamanten, der sich tief in mein Innerstes bohrte, und dem ich nicht widerstehen konnte.
    Ich schluckte. War es wichtig, was ich wollte? Wusste ich überhaupt, was ich wollte? Christoph bohrte nach: „Willst du arbeiten, um zu leben, oder leben, um zu arbeiten?“
    Über diesen Satz musste ich erst einmal nachdenken. Dann murmelte ich: „Ich möchte eigentlich lieber mit Sprachen arbeiten. Deutsch oder Fremdsprachen, Poesie oder Grammatik, das ist mir eigentlich gleich. Ich mag keine Zahlen, Mathe fällt mir zur Zeit ziemlich schwer. Ich sehe keinen Sinn in dieser blöden Integralrechnung.“
    Christoph lächelte amüsiert, aber ich hatte mich in Fahrt geredet.
    „Ich liebe Gedichte, die ich interpretieren kann, ich pflücke gerne Texte auseinander, denke über Sinn und Unsinn von literarischen Werken nach. Das macht mir unheimlich Spaß, auch wenn ich da fast der einzige in meiner Klasse bin. Ich weiß, dass ich damit nicht reich werden kann, aber vielleicht könnte ich eine Stelle finden, dass es wenigstens zum Leben reicht. Und ich müsste dann nicht jeden Tag Angst vor Zahlen und chemischen Formeln haben, sondern würde das, was ich tue, mit Freude tun.“
    Ich seufzte. Es war plötzlich ganz einfach gewesen, das zu sagen, solange Christophs Augen mich festhielten. Trotzdem saß der Zweifel schon zu tief: „Aber ich sehe keinen Weg dahin. Mein Vater macht mir zuviel Druck. Er malt mir Schreckensszenarien aus, sieht sich jeden

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