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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anett Leunig
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ihnen, aber schließlich sagte ich ihnen die Wahrheit. Sie waren erst entsetzt und zornig. Aber ich wollte das Kind bekommen, unbedingt.
    Deine Mutter stand von Anfang an zu mir. Sie war gerade mal siebzehn, aber sie brachte es fertig, ihre Schule und meine Schwangerschaft unter einen Hut zu bringen, damit ich meine Ausbildung abschließen konnte.
    Und als Christoph dann kam, gesund und munter und unheimlich süß, waren auch meine Eltern wieder versöhnt. Einen Monat vor Christophs Geburt kam ein Brief ins Haus mit einem Scheck in der Höhe des gesetzlichen Unterhalts und noch etwas mehr. Und mit der Kette. Von da an kam der Scheck jeden Monat, pünktlich per Einschreiben. Aber meine Eltern sagten, Christoph sei ihr Enkel, so oder so, und sie wollten für ihn sorgen, so gut sie konnten. Ich sollte das Geld anlegen, damit Christoph es später einmal selbst verwenden konnte. So habe ich es gehalten, all die Jahre über.
    Im nächsten Jahr kam die Gauklertruppe wieder, zur selben Zeit, zum selben Ort, nur dass ich da mit einem Baby im Arm auf sie wartete. Christophs Vater war dabei, er kam zu mir, und wir hatten einen Monat lang ein Leben wie eine richtige Familie. Meine Eltern lernten ihn kennen, es gab erst viel Krach, doch deine Mutter raufte uns alle wieder zusammen. Ich glaube, in jenem Sommer wurde sie richtig erwachsen.
    Aber schließlich musste die Truppe weiterziehen, und ich spürte, dass Christian mit ihnen mitwollte. Er war kein Mensch, der sein Leben in einem Haus mit Garten und Auto vor der Tür verbringen konnte. Er musste durch die Welt ziehen, unstet und ständig auf der Suche nach dem Unbekannten, dem Abenteuer, der Herausforderung. Ich dagegen bin eher sesshaft, ich brauche Ruhe und Ordnung in meinem Leben, zumindest bis zu einem gewissen Grad. Ich konnte nicht mit ihm ziehen. Der Scheck kam immer pünktlich, meistens auch ein paar liebe Zeilen dazu. Antworten konnte ich dagegen nie, weil ich nie wusste, wo Christian gerade war.
    Christoph wuchs mit dem Wissen auf, irgendwo auf der Welt einen Papa zu haben, der einmal im Jahr für einen Monat nach Hause kam. Als kleines Kind fand er das alles noch ganz lustig, aber je älter er wurde, umso mehr Probleme traten auf. Es ist ja auch nicht so einfach, wenn plötzlich ein fremder Mann zur Tür hereinschneit und sich einen Monat lang in dein Leben einmischt, um dann für die nächsten elf Monate wieder zu verschwinden, ohne dass du ihn erreichen kannst.
    Christoph hat das in den letzten Jahren ziemlich fertig gemacht, es gab deswegen auch oft Streit zwischen Christian und ihm. Aber irgendwie fanden die beiden immer wieder zusammen. Ich glaube, das waren die Augen. Christian brauchte seinem Sohn nur in die Augen zu schauen, die den seinen so unheimlich ähnlich sind, und der Junge wurde wieder ruhig und entspannte sich. Dann konnten sie reden. Ich weiß nicht, was für eine Art Zauber das war. Vielleicht war es aber auch einfach nur der gewisse Draht zwischen Vater und Sohn.
    Jedenfalls habe ich immer Angst deswegen: wenn sich schon die Augen der beiden so ähneln, was ist dann mit dem dahinter? Natürlich ist Christoph auch mein Sohn, aber ich glaube, in ihm steckt noch eine Menge mehr von seinem Vater, und ich befürchte, dass das dann zum Vorschein kommt, wenn er nicht mehr hier in seiner gewohnten, ‚mütterlichen’ Umgebung ist. Deshalb hatte ich solche Angst vor diesem Auslandssemester. Ich habe Angst, dass er nicht mehr zurückkommt, dass er Gefallen an der Fremde findet und auch so eine Art Gaukler wird wie sein Vater.“ Ihre Augen füllten sich wieder mit Tränen, aber sie schluckte sie tapfer hinunter.
    „Als unsere Eltern starben, hat deine Mutter mir ihren Erbteil überlassen. Sie sagte, ich solle damit Christoph ein schönes Zuhause und eine solide Zukunft aufbauen, damit ich ihn halten kann. Sie selbst hatte mit Frank, deinem Vater, alles, was sie brauchte. Und du warst auch schon da. Das werde ich ihr nie vergessen. Deshalb können wir auch hier in diesem kleinen Haus leben, denn mein Einkommen würde eigentlich nur für unser beider Unterhalt reichen. Deine Mutter stellte nur eine Bedingung: dass du niemals etwas von alldem erfahren solltest. Es sollten kein Neid oder Uneinigkeit aufkommen. Aber ich weiß ja jetzt, dass das niemals geschehen wird, denn mit dieser Konstellation konnte auch deine Mutter nicht rechnen. Deshalb habe ich dir das alles heute erzählt.“ Sie trank den letzten Schluck aus ihrer Kaffeetasse und stand auf.
    Ich

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