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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anett Leunig
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der Stadt am äußersten Zipfel der Bretagne, schon gar nicht.
    Kurz vor meiner Bank blieb sie stehen, lächelte mich freundlich an und drehte sich um. Auf ihrem Rücken lag ein langer, goldener, geflochtener Zopf, von dem ich seltsamer-weise ahnte, dass die Hälfte der Mädchen in der Klasse sie darum beneidete. Vor meinem geistigen Auge sah ich plötzlich schulterlanges Haar, ebenfalls lose zu einem Zopf zusammengenommen, in fast demselben Goldton, vielleicht eine Spur dunkler. Ich blinzelte. Was war nur mit mir los? Eine ganze Weile saß ich reglos in meine Gedanken vertieft. Felix’ Ellenbogen in meinen Rippen holte mich wieder in die Realität zurück: „Träume nicht, die Laraît ist heute nicht gut drauf. Seite 8, im Buch.“ Ich schlug mein Buch auf. Seltsam, fast wie ein Déjà-vue.

 
    II
    Der Herbst verabschiedete sich in diesem Jahr nach einer wunderbar intensiven Farbenpracht ganz klassisch mit Sturm und Hagel. Aber das ließ sich gut aushalten, solange man wie Felix und ich faul und entspannt auf der Couch in seinem Zimmer herumlag, ein Glas Cola in der Hand und die Salzstangen in Reichweite. Die Anlage war auf volle Lautstärke gedreht, draußen trommelte der Regen gegen die Scheibe. Novemberwetter draußen, ‚November Rain’ von Guns’n Roses hier drinnen. Ich fand es gemütlich; schön, wieder mit Felix Musik zu hören und zu quatschen, wie in früheren Zeiten. Trotzdem war es jetzt anders. Im Sommer hatte ein jeder von uns seine eigenen Erfahrungen gemacht, jeder andere, und bis jetzt hatten wir noch nicht darüber gesprochen. Aus Mangel an Zeit, Gelegenheit, Mut? Ich wusste es nicht.
    Als hätte er meine Gedanken gelesen, sagte Felix plötzlich: „Ich bin übrigens nicht mit Antonia ins Bett gegangen, weder vor noch nach der Schulfete im Sommer. Auch nicht mit dieser Nicole, der Brünetten. Na ja, die war ohnehin nur eine Art ‚Trostpflaster’.“
    Ich sah ihn erstaunt an. Dabei war er sich damals mit seiner Antonia so sicher gewesen? „Sie hatte zuviel Angst“, erklärte er mir auf meine stumme Frage, „hat mich damit fast verrückt gemacht. Ich habe ihr dann gesagt, sie solle sich entscheiden und mich nicht immer erst heißmachen und dann wegstoßen. Da hat sie Schluss gemacht. War vielleicht auch nicht richtig von mir, aber weißt du, ich hatte auch Angst. Angst, etwas falsch zu machen, ihr wehzutun, mich zu blamieren, na ja.“ Heute schien für Felix der Tag der Offenbarung zu sein. Ich hörte weiter zu.
    „Weißt du, ich möchte zu gerne wissen, wie das mit einem Mädchen ist. Wie sich das anfühlt ...“
    Ich schloss die Augen. Christoph hatte es mir erzählt: „Es ist, als würdest du in einen langen, weichen Tunnel gleiten, der sich dir anpasst und dich sanft umschließt. Wenn du es richtig machst, sind die Wände feucht und glitschig, du wirst regelrecht hineingesogen. Du hast das Gefühl, als würdest du am Ende in eine riesige Höhle kommen, viel Platz und gleichzeitig streichelnde Enge und Wärme. Du kannst dich darin ungehindert bewegen und wirst trotzdem stimuliert. Aber da gibt es keinen Ring, der dich festhält, der Druck ist nicht so stark wie ....“
    Die letzten Worte konnte ich gerade noch zurückhalten. Ich hatte mich an Christophs Worte erinnert und sie wiedergegeben, ohne zu bedenken, was sie bei Felix auslösen würden! Aber es war bereits zu spät. Entgeistert und eine Spur neidisch starrte er mich an. „Woher weißt du das? Hast du es etwa schon ...?“
    Ich schüttelte den Kopf: „Mein Cousin hat es mir erzählt.“
    „Über so was habt ihr geredet?“ Nicht nur geredet! Ich nickte.
    „Was meinst du mit diesem Ring, und dass der Druck nicht so stark sei?“
    Ich antwortete erst einmal nicht, sondern wartete ab. Felix war ein helles Köpfchen, er würde von selbst darauf kommen. Denk’ nach, Kumpel! Plötzlich stand er ruckartig auf. „Meinst du vielleicht ...“, und er legte sich eine Hand bezeichnend auf eine Pobacke. Ein erneutes Nicken meinerseits.
    „Das hat er gemacht? Bei einem Mädchen? Ist ja irre, ich meine ...“ – Felix’ Gesichtsausdruck wandelte sich von der anfänglichen Begeisterung um in Bestürzung, als er mein Kopfschütteln sah, – „... etwa bei einem Jungen? Einem Mann?“
    „Ja.“
    Ich hatte beschlossen, jetzt die Wahrheit ans Licht zu lassen. Entweder würde er es verkraften oder mich postwendend rausschmeißen. Beides war besser als ein ewiges Versteckspiel.
    Felix schluckte, fuhr sich mit einer Hand durch sein

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