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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anett Leunig
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zu ihr hinüber. Sie drehte sich zu mir um, ihr Messer noch im Schälvorgang an der Karotte. Ich nahm ihr beides behutsam aus der Hand und legte dann meine Arme um ihre Schultern. Ich hatte sie bereits um ein paar Zentimeter Körpergröße überholt, so dass sie jetzt ein Stück zu mir aufschauen musste.
    „Was hast du denn, Jann, ist irgendetwas?“ In ihrer Stimme schwang Verunsicherung ob meiner plötzlichen Vertraulich-keit, und auch Argwohn vor dem vielleicht Unangenehmen, das ich ihr jetzt möglicherweise sagen würde.
    Ich suchte meine weichste, ruhigste Stimmlage aus, die ich im Moment besaß. Das Herz schlug mir bis zum Hals.
    „Mama, sei mir nicht böse, aber so, wie ich die Sache sehe, wird hier niemals ein Mädchen oder eine junge Frau sitzen, jedenfalls nicht meine Freundin.“
    Ihre Augen wurden groß und fragend, aber irgendwie auch zweifelnd und abwehrend. Dann versuchte sie, meine Worte mit einem Lächeln wegzuwischen wie einen Krümel auf ihrem weißen Feiertagstischtuch: „Ach, Jann, was redest du denn da? Natürlich wirst du früher oder später ein Mädchen finden. Vielleicht nicht im nächsten oder im übernächsten Jahr, aber irgendwann wird dich die Liebe schon einholen, meinst du nicht auch?“ Damit knuffte sie mich in die Seite und wollte sich wieder ihren Karotten zuwenden. Ich verschränkte die Hände fester hinter ihrem Nacken und zwang sie, mich weiter anzusehen. Jetzt bloß nicht loslassen!
    „Da hast du wohl Recht. Und doch auch wieder nicht. Mama, die Liebe hat mich bereits eingeholt, im letzten Sommer schon, in München. Aber es ist kein Mädchen. – Verstehst du, was ich meine?“
    Sie schüttelte erst den Kopf, aber dann flackerte in ihren Augen doch eine Spur ungläubigen Verstehens auf, und Angst vor dieser Erkenntnis. Ich holte noch einmal tief Luft:
    „Mama, ich bin mit Christoph zusammen, und ich glaube, dass das richtig ist, weil mir Männer mehr bedeuten als Frauen.“
    So, jetzt war es heraus. Sie sah mich an, als käme ich von einem anderen Stern. Ihr Gesicht war blass, und ihre Lippen öffneten sich wie zu einem stummen Protest gegen das für sie Unfassbare, das ich da gerade gesagt hatte. Ihr Blick sprang von meinem rechten zu meinem linken Auge und zurück, so als suchte sie irgendwo den Schalk, der sich ihrer Hoffnung nach hinter meinen Worten verstecken musste. Aber mir war noch nie etwas so ernst gewesen wie das hier, und das schien sie langsam zu begreifen.
    „Ach Jann ...“, sie legte ihre Hände auf meine Arme, aber ich rührte mich nicht. „Was sagst du denn da ...? Meinst du das im Ernst? Ich meine, wieso ...? Und Isabel ...?“ Sie holte noch einmal tief Luft, wie um zum letzten Schlag auszuholen: „Warum kannst du nicht ...? Wie kommst du denn auf Christoph?“ Die letzte Frage hörte sich an wie ein verzweifelter Hilfeschrei. Ich konnte sie gut verstehen und mir jetzt auch ungefähr vorstellen, wie Tante Melanie reagiert haben musste, als sie von der Sache zwischen Christoph und Falk erfahren hatte.
    Ich sah meiner Mutter noch immer fest in die Augen und antwortete: „Mama, ich kann es nicht ändern. Und ich will es auch nicht. Christoph ist wie für mich gemacht, wir verstanden uns auf Anhieb und ich fühle bei ihm, ...“, es war ganz schön schwer, das auszudrücken, ohne sie damit allzu sehr zu überfordern, „... was ich bei keinem Mädchen fühlen könnte. Das weiß ich einfach.“ Ihr hilfloses Schweigen verunsicherte mich sehr, und ich hatte keine Ahnung mehr, wie ich mit dieser Situation weiter umgehen sollte.
    Im nächsten Moment hörte ich Tante Melanies Stimme hinter mir: „Moni, du machst schon wieder aus einer Mücke einen Elefanten.“ Sie kam zu uns herüber, noch immer das Geschirrtuch in der Hand, an dem sie sich die bereits trockenen und absolut sauberen Finger abrieb. Ein Zeichen dafür, dass auch sie furchtbar nervös war. Ihre Stimme dagegen klang ruhig und souverän, ganz die große Schwester – ganz Christoph.
    Mama drehte sich zu ihr um, einen letzten Funken Hoffnung im Blick, dass ihre Schwester sie aus diesem Desaster herausholen würde: „Hast du davon gewusst?“
    Tante Melanie lächelte entschuldigend: „Zwangsläufig, sie haben ja vier Wochen bei mir gewohnt.“
    Ich bekam einen Schreck. Hatte sie doch etwas von dem mitbekommen, was wir beide Nacht für Nacht getrieben hatten? Nein, wahrscheinlich meinte sie das eher allgemein.
    „Und du hast das zugelassen?“ War unsere Liebe eine Straftat? Und wie sollte man

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