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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anett Leunig
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Also erzählte ich ihm lieber nichts von Celine; er schien dagegen aus anderen Quellen genug über dieses Thema zu erfahren. Ich war traurig über diese Situation, ratlos und auch wütend. Diese Gefühle waren ein krasser Gegensatz zu der Freude, die ich erlebte, wenn ich mit Celine zusammen war.
    Irgendwann im Laufe der Wochen fiel mir auch auf, dass Christophs Mails immer spärlicher wurden – anstelle der ausführlichen, fast täglichen Berichte kamen jetzt nur noch knappe Sätze nach tagelangen Pausen. Angeblich hatte er gerade viel zu tun. Was, das konnte oder wollte er mir nicht sagen. Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass er hier nicht ganz ehrlich war. Er schickte mir keine Fotos und keine Entwürfe mehr, reagierte nicht auf meine erste wirklich gute Note in Französisch und hielt sich auch sonst sehr bedeckt.
    Ich verstand diesen plötzlichen Rückzug nicht, konnte sein Verhalten nicht deuten. Oft hatte ich auch einfach keine Zeit oder Muße mehr, mir darüber Gedanken zu machen oder ihn danach zu fragen, wusste auch nicht, wie ich über –zigtausend Kilometer hinweg in ihn dringen sollte. Also ließ ich ihn in Ruhe und beschränkte auch meinerseits die E-Mails auf das nötigste, ein paar Zeilen pro Woche. Dass mir das beinahe zum Verhängnis wurde,  konnte ich nicht ahnen.

VIII
     Es war Donnerstag Nachmittag, ich hatte meine letzte Doppelstunde Französisch vor den Winterferien hinter mich gebracht und fühlte mich ziemlich ausgelaugt. Der Rest der Klasse war bereits mit wehenden Fahnen hinaus- und nach Hause gestürmt. Nur Celine, Katharina und ich waren noch im Klassenraum. Katharina hatte bereits ihre Bücher zusammengepackt und stand vor unserer Bank: „Kommst du mit mir mit, Celine? Wir wollten doch noch in die Bibliothek.“
    Katharina liebte wie ich Bücher, aber sonst hatte ich bisher leider nichts Interessantes an ihr entdecken können. Celine schüttelte den Kopf: „Non, ich möchte – noch mit Jann Vokabeln üben.“ Sie sah mich unsicher an. Ich hatte gerade mein Buch zugeschlagen – demonstrativ klappte ich es wieder auf, allerdings in Kapitel zwei und nicht sechs, wo wir eigentlich waren.
    Katharina blickte spöttisch auf mein Buch, dann in mein Gesicht und meinte mit schnippischem Unterton: „Vor den Ferien? Na dann, viel Spaß!“
    Wir sahen ihr stumm nach, wie sie durch den Klassenraum stolzierte und schließlich mit Nachdruck die Tür hinter sich schloss. Dann prusteten wir beide los. Schließlich holte Celine tief Luft: „Mon Dieu, was muss sie denken!“
    Ich tat erstaunt. Was sollte Katharina denn denken? Als ich Celines Blick auffing, drehte ich mich rasch wieder weg und blätterte konzentriert in meinem Buch, damit sie meine plötzliche Unsicherheit nicht bemerkte. Heute Nachmittag war irgendetwas anders als sonst. Mit ihr. Sie hatte bewusst meine Nähe gesucht, bewusst das Alleinsein mit mir gewählt. Irgendetwas würde heute passieren, jetzt gleich, und ich wurde nervös.
    Plötzlich fühlte ich ihre Hand auf meinem Arm. Erschrocken über diese unerwartete Berührung drehte ich den Kopf zu ihr. Sie sah mich an. Direkt in meine Augen. Ihr gelbgoldenes Haar rahmte ihr Gesicht ein, aus dem ihre Augen hervorblitzten. Zum ersten Mal nahm ich bewusst war, dass sie hellgrau waren, tief wie Eis auf einem Fluss – wie Diamanten. Mich durchfuhr es wie ein Stromschlag. Das musste eine Sinnestäuschung sein!
    Ich hörte sie sprechen: „Ich fand es sehr schön, mit dir hier zu lernen und zu sprechen. Und Gedichte zu intapri..., intotri..., alors, wie heißt das?“
    Ich blinzelte, um wieder in die Realität zurückzufinden und half ihr aus: „Interpretieren“.
    „Oui, interpretieren. Das ist ganz schön schwer. Aber mit dir ist es nicht schwer. Mit dir ist alles so einfach ... So leicht ... Ich bin gerne mit dir zusammen ...“
    Mit jedem Wort war mir ihr Gesicht nähergekommen, war ihre Stimme leiser, ihr Blick tiefer geworden. Oder hatte ich mich zu ihr gebeugt?
    Verdammt, das war doch falsch! Was war hier los, mit mir los?
    Ihre Augen hielten mich fest, zogen mich magisch an, immer näher. Ich wollte zurück, aber ich war schon zu weit. Fast! Wenn jetzt nichts passierte, würde ich verlieren. Ich würde Christoph verlieren, und alles, was bisher so richtig gewesen war, in das Gegenteil verkehren! Und das alles nur wegen dieser Augen?!
    Verzweifelt suchte ich nach dem Ausweg, der doch irgendwie genau vor mir sein musste! Sie neigte leicht den Kopf, und ich wusste, gleich würde es

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