Wolkengaukler
belegt hatten, zusammen – vorausgesetzt, Felix’ oder Konstanzes Platz blieb frei. Eine Absprache ohne Worte, die uns beiden gefiel.
Es machte mir Spaß, mit Celine zusammen zu arbeiten. Sie hatte eine schnelle Auffassungsgabe, und sogar Biologie mit diesen schrecklich vielen Fachbegriffen ging ihr fast mühelos von der Hand. Am schönsten fand ich allerdings die Französischstunden, wenn sie auch einmal drankam und ihre Muttersprache sprach. So fließend, so sauber, wie ein Bach, der über eine Wiese plätscherte. Ich hätte ihr stundenlang zuhören können, und hatte dabei eine Vision von Christoph, wie er nackt auf dem Bett lag und mir aus einem Buch vorlas, während ich – an dieser Stelle musste ich die Vision immer zwangsweise abbrechen, um keine Schwierigkeiten zu bekommen.
Mit einem Mal verspürte ich das dringende Bedürfnis, besser in Französisch zu werden, begann, intensiver Vokabeln zu lernen und meine Hausaufgaben sauber lesbar zu erledigen. In den Pausen ließ ich mich von Celine abfragen. Sie war es schließlich auch, die mich in die mir bisher unzugänglichen Geheimnisse der französischen Grammatik einwies. War es nun ihre anschauliche, geduldige Art, sie mir zu erklären, oder mein unbändiger Wille, es endlich zu kapieren und mich vor ihr nicht mehr zu blamieren? Egal, jedenfalls funktionierte es. Oft saßen wir in den Freistunden zusammen, übten Lesen oder konjugierten unregelmäßige Verben durch. Für sie ein Kinderspiel, für mich manchmal der beste Weg, mir meine Zunge zu brechen, worüber sie sich köstlich amüsierte.
Ich revanchierte mich, indem ich ihr in Deutsch auf die Sprünge half, mit ihr ‚Faust’ interpretierte oder einfach nur ein Gedicht vorlas, damit sie den Rhythmus der deutschen Sprache besser wahrnehmen konnte.
Es machte uns beiden unheimlich viel Spaß, uns gegenseitig zu ergänzen, aufzuziehen und voranzubringen. Dabei ignorierte ich geflissentlich die zweideutigen Bemerkungen in meiner Clique, achtete nicht auf die vielsagenden Blicke der Mädchen und das Gekicher, wenn ich mich ganz ungerührt neben Celine niederließ und ihr über die Schulter sah, während sie konzentriert meine Hausaufgaben korrigierte. In diesen Momenten war mein Gesicht dem ihren so nahe, dass ich die Wärme ihrer Haut auf meinen Wangen spüren konnte – aber mehr nicht. Es machte mir nichts aus, dass sie mich manchmal berührte, zum ‚Salut’ rechts und links ganz leicht auf die Wange küsste, oder dass ich manchmal ihren Pferdeschwanz ins Gesicht bekam, wenn sie ihn zu schwungvoll nach hinten warf.
Nur wenn ich in ihre Augen schaute, wurde mir immer ganz anders. Wie und warum, das wusste ich noch immer nicht. Und solange mir das nicht klar war, schrieb ich Christoph nichts von ihr.
Vier Wochen später: Felix war noch immer nicht zurück. Er hatte sich noch eine Erkältung eingefangen, und auch bei Konstanze war noch keine Besserung eingetreten. Mir tat es zwar um die beiden Leid, weil sie soviel vom Unterricht verpassten, aber ich war auch froh, dass ich weiter neben Celine sitzen konnte. Ihr ging es offensichtlich genauso.
Jeden Nachmittag schaute ich bei Felix vorbei, brachte ihm die Hausaufgaben und erklärte ihm den Stoff. Irgendwann fiel mir auf, dass er mir dabei niemals in Schlafanzug oder Unterwäsche gegenübertrat, obwohl er eigentlich die meiste Zeit auf der Couch verbrachte, und es wahrscheinlich ziemlich anstrengend war, immer die enge Jeans über das geschwollene Bein zu ziehen. Schämte er sich etwa vor mir? Hatte er Skrupel, wollte er mich nicht reizen? Ich fand das albern, aber ich sagte nichts dazu. Er musste selbst wissen, was er tat.
Unser Verhältnis schien sich in den letzten Wochen auf unter null Grad abgekühlt zu haben. Unsere Gespräche waren meist sehr einsilbig, und wenn das Thema ‚Unterricht’ abgehandelt war, schien es, als hätten wir uns nichts mehr zu sagen. Sicher, Felix’ Tage waren relativ eintönig, während ich manchmal nicht wusste, wie ich meine Freizeit unter all den Dingen, die ich machen wollte, aufteilen sollte. Es gab auch so vieles, was ich ihm gerne erzählt, worüber ich mit ihm gerne geredet hätte: persönliche Dinge, die mir auf der Seele lasteten, die mich verwirrten und beunruhigten. Wie eben die Sache mit Celine.
Aber unsere Männerfreundschaft stand aus irgendwelchen mir unbekannten Gründen zur Zeit ganz offensichtlich auf zwei sehr kippeligen Beinen, und ich wollte sie mit meinen Problemen nicht umstoßen.
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