Wolkengaukler
sie denn verhindern, Mama?
„Ja, warum nicht? Hör mal, Kleines, du machst dir unnötig Sorgen. Die beiden sind erwachsen – okay fast, soweit es Jann betrifft – und gescheit. Sie wissen, was sie da tun, sie sind sich einig und sie gehen sehr liebevoll miteinander um. Ich denke, es ist besser, dass sie zu ihrem Wesen stehen und einander vertrauen, als sich zwangsweise selbst zu belügen und dabei noch einige Mädchen unglücklich zu machen. Das Zeug dazu hätten sie ja beide“, sie zwinkerte mir zu. Was sollte das denn jetzt heißen?! Okay, Christoph war ein attraktiver Mann, sexy und mit dem gewissen Etwas – aber ich? Aber das war jetzt nicht so wichtig.
Mama seufzte: „Es kommt halt alles nur so unvorbereitet. Ich glaube, ich muss erst einmal in Ruhe darüber nachdenken.“
Ich lockerte meinen Griff etwas, ließ sie jedoch noch nicht ganz los.
Tante Melanie war noch nicht fertig: „Weißt du, Moni, das Wichtigste ist doch, dass sich die Jungs wohlfühlen, dass sie glücklich sind und innerlich stark. Glaub mir, ich habe meinen Christoph lange nicht mehr so stark und glücklich erlebt wie in den vier Wochen, als Jann bei uns war. Das ist für mich maßgebend.“
Mama sah ihre Schwester an, dann mich, dann zur Uhr. Dann gab sie sich einen Ruck und meinte: „Hmm ..., ist schon gut. Ich krieg’ das schon irgendwie hin. Aber jetzt ist es erst einmal maßgebend, dass wir den Kartoffelsalat fertig machen. Sonst haben wir heute Abend nichts zu essen.“
Tante Melanie lachte leise auf, und Mama schniefte mit einem schiefen Lächeln. Ich drückte sie an mich, und sie schmiegte sich vorsichtig in meinen Arm, ein bisschen scheu, ein bisschen misstrauisch. Vielleicht, weil es ungewohnt war, dass nun ich sie tröstete. In den letzten siebzehn Jahren war es immer andersherum gewesen. Vielleicht – nein, ganz bestimmt – war sie aber auch unsicher, weil ich ihr in den letzten Minuten etwas fremd geworden war. Vorläufig hatte sie die Tatsachen registriert, aber geschluckt hatte sie sie noch lange nicht. Na ja, jetzt war wohl ich derjenige, der auf die Zeit setzen musste.
VII
Neues Jahr, neues Glück. Das war Felix’ Lieblingsspruch. Eigentlich war es sein Lebensmotto, für jeden Tag im Jahr. Und dieses Motto hatte er bisher immer sehr treu beherzigt. Aber dieses mal hatte ihm Neujahr einen Strich durch die Rechnung gemacht: er war krank, ebenso Konstanze, die in der Bank vor uns saß und auf die Felix seit den Herbstferien ein Auge geworfen hatte. Natürlich gab das wieder Anlass zu den unsinnigsten und anzüglichsten Spekulationen, bis sich herausstellte, dass Konstanze sich im Weihnachtsurlaub in Ägypten einen schweren Darmvirus geholt und Felix einen Bänderriss im Knie hatte. Er war beim Neujahrsschlitt-schuhlaufen gestürzt. Für beide bedeutete das jedenfalls, dass sie für die nächste Zeit zu Hause bleiben durften.
In der dritten Stunde saß ich daher in Französisch allein in meiner Bank und blätterte gedankenverloren in meinem Lehrbuch, während Madam Laraît uns wieder einmal das Passé Composé zu erklären versuchte. Bei mir war diesbezüglich wahrscheinlich längst alles passé.
Ich hatte gerade beschlossen, die Großbuchstaben in dem Lückentext, den wir lesen sollten, mit meinem Bleistift auszumalen, als sich Celine plötzlich zu mir umdrehte und flüsterte: „Jann, ich habe meine Buch vergessen. Kann ich bei dir mit schauen?“
Ich nickte sofort – und war selbst ein wenig überrascht, wie selbstverständlich es mir erschien, dass Celine sich neben mich setzte. Nicht überrascht war ich allerdings über die Blicke, die ich von den Jungs um mich herum zugeworfen bekam: von Bewunderung über Neid bis hin zu abgrundtiefem Hass war alles dabei. Auch Celine bekam einige solcher Blicke ab, hauptsächlich von Katharina, die mir schräg gegenüber am Fenster saß und mich in letzter Zeit sehr genau zu beobachten schien. Ziemlich nervig!
Ich schob mein Buch in die Tischmitte, legte lässig meinen Oberkörper quer über die Bank und stützte den Kopf seitlich in die Hand. Zu meinem Erstaunen setzte sich Celine genauso hin! Es war, als würden wir uns gegenseitig vor den Blicken der anderen abschirmen und ein eigenes kleines Reich zwischen uns aufbauen. Als hätte Celine meine Gedanken gelesen, zwinkerte sie mir zu, und ich grinste. So unkompliziert konnte das also mit einem Mädchen sein! Mit diesem Mädchen! Von da an saßen wir in Französisch und in jedem anderen Fach, dass wir gemeinsam
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