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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anett Leunig
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abspringt und loszieht, ohne Halt und ohne Ziel.“ Sie seufzte und kuschelte sich tiefer in meinen Arm, als suchte sie Schutz vor dem kalten Wind, der uns ins Gesicht blies - oder dem Sturm, der in ihrem Herzen tobte.
    Ich hatte jetzt wieder etwas Neues über Christoph erfahren, und das machte mich neugierig auf mehr. Mit jedem Detail aus seinem Leben, das sich mir eröffnete, wurde dieser Mann für mich mehr zu einem Buch mit sieben Siegeln – und mein Verlangen, es endgültig aufzuschlagen und darin zu lesen, immer größer mit jedem Siegel, dass ich brach. Ich durfte Christoph einfach nicht fallen lassen! Aber für heute war es erst einmal genug. Wir erledigten unsere Einkäufe und trabten in trauter Schweigsamkeit zurück nach Hause.
     
    Am Abend nach der Bescherung klingelte das Telefon. Mein Vater legte sein Steuerlexikon beiseite, das ich ihm geschenkt hatte, und nahm ab: „Kiebel!? ... Oh, hallo Christoph!“ – Mit einem Ruck flog mein Kopf zu ihm herum. Mein eben ausgepacktes Geschenk glitt mir aus den Händen und schlug dumpf auf dem Boden auf. Ich kümmerte mich nicht darum.  „Ja, danke, dir auch frohe Weihnachten! Wie geht es dir?“
    Wie versteinert starrte ich in Vaters Gesicht, als könnte ich in seinen stahlblauen Augen lesen, was seine Ohren hörten. Christoph war dran, rief aus Kanada hier an, war in diesem Raum, keine zwei Meter neben mir und doch Tausende Kilometer weit entfernt! Ich spürte, wie Tante Melanie mir irgendetwas zurück in den Schoß legte. „Ganz ruhig, Jann“, flüsterte sie dabei, so leise, dass nur ich es hören konnte.
    „Ja, natürlich ist deine Mutter hier, Moment – Melanie? Dein Sohn!“ Als ob das nicht längst jeder im Raum mitgekriegt hätte!
    Tante Melanie nahm den Hörer: „Christoph? Hallo, mein Junge! – Ja, dir auch. Alles klar? – Schön, ja, hier auch, ja, ja.“ Verdammt, warum konnte sie nicht einfach den Lautsprecher einschalten, damit ich Christophs Stimme wenigstens aus der Ferne hören konnte! Unruhig rutschte ich auf meinem Sessel hin und her.
    „Schön, mein Schatz, mach’ das ruhig. Da bin ich ja froh, dass du heute Abend nicht alleine bist. ... Ja, natürlich. ... Ich habe dich auch lieb. Mach’s gut!“ NEIN, LEG NOCH NICHT AUF!
    Sie drehte sich um und zwinkerte mir zu, während sie weiter in den Hörer sprach: „... Ja, der ist hier, und ich glaube, er möchte dich auch ganz dringend sprechen! Tschau, Christoph, pass auf dich auf, ja?“ Damit winkte sie mich zu sich. So schnell war ich noch nie am Telefon gewesen! Meine Mutter sah mir verwundert nach.
    „Christoph? Hier ist Jann.“ Wie blöd, wer denn sonst?!
    „Hi, mein Süßer!“ Mein Herz begann zu rasen, mein Mund wurde trocken. Ich presste den Hörer ganz dicht an mein Ohr. Christophs Stimme klang leise, aber erstaunlich klar um den halben Erdball herum. Am liebsten hätte ich ihm jetzt erst einmal eine Stunde lang zugehört, selbst wenn er mir dabei aus einem seiner Fachbücher vorgelesen hätte! Doch er bat mich nur: „Erzähle mir ein bisschen, ich möchte deine Stimme hören.“ Also ging es ihm genauso wie mir!
    Was sollte ich erzählen? Es gab so vieles, was ich ihm sagen wollte, aber das ging jetzt und hier nicht. Also redete ich einfach drauflos, und es schien ihn überhaupt nicht zu stören, dass es sich dabei um solch belanglose Dinge wie die Beschreibung unseres Weihnachtsbaumes handelte.
     „Hattet ihr nicht eine Weihnachtsfete in der Schule?“, fragte er mich plötzlich. Verdammt, davon wollte ich ihm eigentlich nichts erzählen! „Wie war es denn?“
    Ich entschloss mich, das Thema einfach mal anzutesten. „Na ja, ganz nett. Gute Musik, viel gequatscht, mal getanzt ...“
    Sofort kam es wie aus der Pistole geschossen: „Getanzt? Mit wem denn?“ War es nur Neugier? Oder Eifersucht? Mit einem Mal wollte ich nicht mehr zuviel wagen und änderte meine Strategie, beschloss, ihn ein bisschen aufzuziehen.
    „Ach, na ja, da sieht man schon so das eine oder andere, was einem gefallen könnte ...“ Das klang so neutral, dass meine Eltern im Hintergrund nichts Anstößiges daran finden konnten.
    Christoph protestierte: „Moment mal, nur damit ich das jetzt richtig verstehe: du gehst einmal aus und schon fremd?“ An seinem Ton hörte ich, dass er meinen Scherz begriffen hatte und darauf einging.
    „Mach doch mal was dagegen ...“, stichelte ich weiter, froh um den lockeren, vertrauten Ton zwischen uns.
    „Also jetzt hör mir mal zu!“, Christoph tat jetzt

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