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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anett Leunig
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setz dich, bitte.“ Ich schob meinen Schreibtischstuhl vor das Bett und drehte ihr die Sitzfläche zu. Langsam kam sie zurück und setzte sich mit ungläubigem Blick auf die äußerste Stuhlkante. „Jann, was ist denn? Du bist so anders? So aufgeregt!? Ist etwas passiert?“ Endlich schien sie aus Hollywood nach Deutschland zurückzukommen! Ich setzte mich vor sie auf die Bettkante, Celine rutschte neben mich. „Mama, was ich dir jetzt sage, wird wahrscheinlich nicht ganz leicht zu verstehen sein ...“
    Für einen Augenblick wurde sie eine Spur blasser; ihr Blick glitt hinüber zu Celine und dann auf deren Bauch. Dachte sie etwa, Celine sei schwanger? Hatten alle Mütter als erstes diesen Gedanken, wenn ihr Sohn ein Mädchen mit nach Hause brachte und dann etwas Wichtiges zu sagen hatte? Ich zog Mutters Aufmerksamkeit wieder auf mich:
    „Mama, ich weiß, das klingt verrückt, und ich weiß es selbst erst seit heute Abend, aber ...“ Wie war es möglich, so etwas vorsichtig und einfühlsam zu vermitteln? Mutters Blick taxierte mich lauernd. Ich fuhr mit vor Nervosität zitternder Stimme fort: „Mama, Celine ist nicht hier, weil ich ... ehm, weil wir ... hach, also, ich mache es kurz: Celine ist Christophs Halbschwester.“
    Mamas Augen weiteten sich vor Erstaunen, dann Schrecken, und schließlich Entsetzen. Mit diesen großen, kugelrunden Augen starrte sie Celine eine kleine Ewigkeit lang an, als würde sie sie gerade eben zum ersten Mal wahrnehmen. Klar, sie hatte Christoph zuletzt vor zwei Jahren gesehen, sein Gesicht war ihr nicht mehr so gegenwärtig wie mir. Doch schließlich schien auch sie die Ähnlichkeit zwischen den Geschwistern zu erkennen. Sie wurde noch blasser. Ihr Mantel rutschte zu Boden; sie selbst ließ sich erschüttert nach hinten gegen die Lehne sinken: „Nein! Das darf doch nicht wahr sein!“
    „Doch, es ist wahr, Madame!“ Celine nickte eifrig und zog ihre Kette hervor. Ich meine ebenfalls. „Wir haben den gleichen Vater.“ Wie zwei Delinquenten hielten wir unsere Kettchen hoch: die Beweisstücke unseres Vergehens. Dabei hatten wir doch gar nichts angestellt!
    „Wie kann das denn sein?“ Die Stimme meiner Mutter klang irgendwie ton- und kraftlos. War das jetzt zuviel für sie? Celine reagierte als erste, nahm den Mantel auf und streifte meiner Mutter behutsam den Gurt ihrer Tasche von der Schulter. „Alors, ich bringe Ihnen erst einmal etwas zu trinken, Madame!“, sagte sie leise und ging mit Mantel und Tasche nach unten, vermutlich zur Garderobe und dann in die Küche. Frauen dachten eben immer praktisch.
    Ich blieb mit Mutter allein zurück. Nach einigen Sekunden schlug ihr Schrecken in Aufregung um – und in angsterfüllte Wut: „Jann, erzähle mir sofort, was hier los ist! Was ist mit Celine und Christoph? Wie kann das sein? Woher weißt du das, und weiß Melanie das auch? Verdammt, Jann, was machst du mit unserer Familie?!“
    Auf die letzte Anschuldigung wollte ich zunächst trotzig erwidern, dass ich ja nun der letzte war, der irgendetwas getan hatte, außer vielleicht, mich in meinen Cousin zu verlieben – aber ich blieb erstaunlicherweise ganz ruhig; vielleicht, weil ich noch immer Christophs – oder Celines? – ach, ich war selbst furchtbar durcheinander! – Augen vor mir sah.
    Langsam begann ich, meiner Mutter die ganze Geschichte zu erzählen: von Christophs Vater, der im Juni in München und im August in Brest war, von den beiden Kindern, die getrennt und doch miteinander verbunden aufwuchsen, von der Kette um meinem Hals und wie ich sie bei Celine wiederentdeckt hatte. Letzteres fasste ich ein wenig kürzer – Mama musste nicht unbedingt wissen, dass ich Celine fast geküsst hätte, weil ich Männlein und Weiblein buchstäblich nicht mehr hatte auseinander halten können.
    Sie hörte mir zu, immer noch fassungslos. Celine war mittlerweile mit einem großen Glas voll Wasser zurückgekommen, aber meine Mutter nippte nur kurz daran, so konzentriert lauschte sie meiner Erzählung. Sie schien mit jedem Wort bereiter, mir die Geschichte abzunehmen, zumal Celine mir mit keiner Silbe widersprach. Es schien alles zu stimmen, zumindest, soweit wir uns das zusammengereimt hatten. Als ich geendet hatte, schwieg sie eine Weile und starrte ins Leere. Dann sah sie mich wieder an, jetzt einen Ausdruck verzweifelter Unentschlossenheit im Gesicht:
    „Was sagt denn Melanie dazu?“
    „Sie weiß es noch nicht“, antwortete ich mit einem ratlosen Schulterzucken. Dann, noch

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