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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anett Leunig
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ehe Mutter weiter über ihre Schwester nachgrübeln konnte, erzählte ich ihr von deren Ängsten, dass Christoph vielleicht nicht zurückkommen würde, dass er sich seit einer Woche nicht gemeldet hatte und jetzt keiner mehr wusste, wo er war und wie es weitergehen sollte. Und schließlich warf ich ihr meine eigene Verzweiflung vor die Füße: „Mama, ich muss Christoph zurückholen. Irgendwie! Ich muss es für Tante Melanie tun, für Celine – und für mich!“ Darauf folgte nichts als Schweigen.
    Das Mineralwasser in Mutters Glas sprudelte leise vor sich hin, Bläschen um Bläschen zerplatzte in einer munteren Minifontäne über dem Glasrand. Zerplatzten jetzt gerade auch meine Träume? 
    In die absolute, beinahe unwirkliche Stille hinein klingelte plötzlich mein Handy auf dem Schreibtisch. Wir fuhren alle drei herum und starrten es an, als könnte keiner von uns begreifen, wieso dieses Handy plötzlich klingeln konnte. Schließlich riss ich mich aus meiner Starre und ging ran. Automatisch schaltete ich die Lautsprecherfunktion mit ein. Am anderen Ende ertönte Tante Melanies Stimme, völlig aufgelöst, aber irgendwie auch erleichtert:
    „Jann? Christoph hat gerade angerufen! Er sagt, er kommt! Ich weiß nicht, was du gemacht hast, aber es hat funktioniert!“
    Gott sei dank! Ich nickte Celine zu, die sofort zu strahlen begann und ebenfalls ein „Dieu merci!“ murmelte, dann sprach ich ins Handy: „Wann kommt er denn, hat er das auch schon gesagt?“
    „Am Samstag, mit dem Flieger um fünfzehn Uhr. Oh Gott, ich bin so froh!“
    Ich ließ mich erleichtert neben Celine aufs Bett fallen. Aber warum hatte Christoph nicht bei mir angerufen? Keine Mail, keine SMS! Seltsam! Stimmte da immer noch etwas nicht? Ich behielt meine Zweifel erst einmal für mich und antwortete: „Ich auch.“
     „Willst du herkommen?“
    Ich zögerte. Prinzipiell wäre es möglich, wir hatten morgen nur zwei Stunden Zeugnisausgabe und dann Ferien. Aber ich brauchte Mamas Zustimmung! Ich sah zu ihr hinüber. Sie wirkte noch immer wie vom Donner gerührt, war voller Zweifel und Unentschlossenheit. Lass mich gehen, Mama, bitte! Er braucht mich! Und ich ihn auch! Es ist doch richtig und gut für mich, bitte!
     „Jann, bist du noch dran?“
    Mist! Mama, entscheide dich! Ich ließ sie nicht aus den Augen, während ich irritiert in den Hörer rief:
    „Hallo, Tante Melanie? Bist du noch da? Die Verbindung ist gerade so schlecht! Ich kann dich eben nicht hören, warte mal!“ Eigentlich war die Verbindung ausgezeichnet! Aber ich musste Zeit schinden, um meiner Mutter die Entscheidung zu ermöglichen. Sie durchschaute meine Taktik, lächelte kurz und – nickte schließlich, wedelte mit der Hand wie: ‚Ja, ja, ist gut, du kannst fahren.’ Ich warf ihr einen Luftkuss zu.
    „Hallo, Tante Melanie? Hörst du mich? Ich glaube, jetzt geht es wieder!“
    „Was war denn los?“
    „Ich weiß nicht, irgend eine Störung. Ja, ich komme, gleich morgen, ich ...“ Noch während ich sprach, sah ich, wie Celine mit dem Finger auf sich zeigte und heftig mit dem Kopf nickte. Wollte sie mit? Das wäre ja noch besser! Oh Gott, arme Tante! Ich konzentrierte mich wieder auf mein Telefongespräch: „Wir kommen morgen mit dem Zug, wieder um achtzehn Uhr wie im Sommer. Kannst du uns vom Bahnhof abholen?“
     „Wir?“, fragte Tante Melanie natürlich prompt, „Kommt Moni auch?“
    „Nein, ich ... ich erkläre dir das später. Holst du uns vom Bahnhof ab?“
    „Ja, natürlich.“ In ihrer Stimme schwang ein leichtes Misstrauen. Es tat mir leid, aber ich konnte ihr das jetzt am Telefon nicht erklären. Ich war zu aufgeregt, zu durcheinander. Mit einem „Bis morgen dann, Tschau!“ legte ich auf.
    Wir atmeten alle drei gleichzeitig auf, ich vor Erleichterung, Celine vor Freude und meine Mutter vor Anstrengung. Mittlerweile war es fast zwölf Uhr. Celine zückte ihr eigenes Handy und rief bei ihren Gasteltern an, damit sie sie abholen kämen. Das war für Notfälle so abgesprochen, damit sie nicht allein durch die winterliche Dunkelheit laufen musste. Und heute war ein solcher Notfall. Als zehn Minuten später draußen eine Autohupe ertönte, brachte ich sie zur Tür. Sie hielt mich zurück:
    „Komm nicht mit hinaus. Ich sage, ich war bei einer Freundin. Ich möchte keine unnötigen Fragen.“
    Ich nickte: „Danke, dass du mitkommen willst. Nach München, meine ich.“
    Sie lächelte: „Ich möchte doch meinen – wie sagtest du? – Halbbruder sehen.

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