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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anett Leunig
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schrecklich.
    Plötzlich hörte ich Tante Melanies Stimme hinter mir: „Hallo Jann, da bist du ja! Entschuldige bitte, ich bin ein bisschen – ....“ Das letzte Wort blieb ihr im Halse stecken. Ich hatte mich rasch zu ihr umgedreht, und Celine neben mir einen Sekundenbruchteil später ebenfalls. Tante Melanie starrte sie an, genau in ihre Augen, und der ungläubige Schreck lag auf ihrem Gesicht wie eine Maske aus Silikon. Auch ich erschrak jetzt. Hätte ich sie nicht doch besser auf diese Begegnung vorbereiten sollen? Celine schaute unverwandt zurück, unsicher, was sie jetzt tun sollte. Für einen Moment wagte keine von beiden, etwas zu sagen oder sich zu rühren, während Tante Melanie offensichtlich damit fertig zu werden suchte, in die Augen ihres Sohnes zu blicken und doch einen fremden Menschen vor sich zu haben. So hatte ich mir das Zusammentreffen der beiden eigentlich nicht vorgestellt. Um wenigstens diese unheimliche Starre der beiden aufzulösen, murmelte ich: „Hallo, Tante Melanie. Darf ich vorstellen: das ist ...“
    „...Celine Dubêre, ich weiß.“
    Jetzt waren Celine und ich es, denen vor Erstaunen der Mund aufklappte. Woher wusste sie das? Wie konnte das sein? War das wieder ein Rätsel aus Christophs Leben, eine Facette in seinen Diamantaugen, die sich mir da offenbarte?
    Endlich schien Tante Melanie sich wieder gefasst zu haben. Sie lächelte vorsichtig und reichte Celine die Hand, die sie mit noch immer ungläubiger Miene ergriff: „Willkommen in München, Celine.“
    „Bon jour, Madame!“ Celine machte in ihrer Verlegenheit sogar einen kleinen Knicks. Das brach schließlich das Eis zwischen den beiden, denn Tante Melanie lachte plötzlich laut auf – ein befreiendes, entspannendes Lachen:
    „Ach Celine, lass die Förmlichkeiten weg, um Gottes Willen! Ich bin Melanie, und ich freue mich, dass ich dich endlich kennen lerne. Schön, dass ihr da seid, alle beide! So, und nun kommt, Kinder, mir wird’s hier langsam zu kalt! Zu Hause können wir in Ruhe reden.“ Damit nahm sie Celine den Rucksack ab, legte ihr den Arm um die Schultern und zog sie mit sanfter Gewalt mit sich fort. Ich folgte automatisch, noch immer wie paralysiert.
    An diesem Abend wurde viel gefragt, erzählt, offenbart. Tante Melanie hatte von Celines Existenz gewusst und damit auch von der anderen Frau im Leben von Christophs Vater. Christian hatte es ihr im Jahr nach Celines Geburt gesagt, hatte ihr den Namen und den Wohnort genannt. Obgleich es ihr nicht leicht gefallen war, hatte Tante Melanie dieses Geheimnis für sich behalten, Christoph wusste nichts davon. Sie hatte Angst gehabt, dass er vielleicht eifersüchtig werden könnte auf das unbekannte Geschwisterkind, mit dem er die Liebe seines Vaters teilen musste; und sie hatte befürchtet, dass er irgendwann beginnen würde, seinen Vater und Celine zu suchen, und dann überhaupt keine Ruhe mehr finden würde. Wie er jetzt auf dieses Geheimnis reagieren würde, wusste keiner von uns. Tante Melanie schien ihre Hoffnungen auf mich und die Überzeugungskraft der Tatsachen zu legen: Celine war nun einmal hier, und Christoph würde ihr nicht allein gegenübertreten.
    Jedenfalls hatte Tante Melanie Celine gleich erkannt, an den Augen natürlich. Aber sie sagte, sie hätte ohnehin schon eine Vorahnung gehabt, dass Christians Tochter früher oder später hier auftauchen würde. Ich hatte am Silvestermorgen von Celine erzählt, ihren Namen erwähnt, und meine Mutter hatte darauf hingewiesen, dass die neue Schülerin aus Brest käme. Auf die Reaktion meiner Tante hatten wir beide nicht geachtet, da wir zu sehr mit uns selbst beschäftigt gewesen waren. Tante Melanie hatte sich in jenem Moment allerdings sehr genau denken können, um wen es sich bei ‚der Neuen’ handelte, und einfach nur noch den Lauf der Ereignisse abgewartet. Und tatsächlich saß sie nun hier mit uns beiden am Tisch und wühlte in ihren Erinnerungen, von denen sie eigentlich geglaubt hatte, sie tief in sich begraben zu haben.
    „Ich hatte von Anfang an gewusst, dass Christian nicht mir allein gehörte. Sonst wäre er ja bei mir geblieben. Er ist ein unsteter Geist, wie ein Schmetterling, der hierhin und dorthin flattert, sich irgendwo kurz niederlässt, Sonne tankt, und dann wieder auf- und davonfliegt.“ Sie wandte sich Celine zu: „Wann hast du ihn das letzte Mal gesehen?“
    „Letztes Jahr im August“, antwortete sie.
    „Und im nächsten Jahr wirst du achtzehn?“
    „Nein, in diesem Jahr, Ende

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