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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anett Leunig
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wusste, dass er in diesem Moment genau dasselbe bei mir empfand. Minutenlang standen wir einfach nur so da, ganz dicht beieinander, und spürten uns.
    Schließlich ließ er mich los, aber nicht aus seiner Umarmung heraus. Fragend blickte er in meinen Hemdausschnitt. Dort konnte er deutlich seine Kette funkeln sehen. Ich hatte sie in den letzten sechs Monaten nicht einen Moment lang abgelegt. Mit ratlosem Gesichtsausdruck öffnete er seine linke Hand, in der die andere Kette lag: „Wem gehört dann die?“
     „À moi!“, ertönte eine Mädchenstimme hinter uns. Er drehte sich erstaunt um – und blickte zu seinem größten Schrecken in seine eigenen Augen.
    „C’est incroyable ...!“, entfuhr es ihm – unwillkürlich ebenfalls auf Französisch. Auch für mich wurde die Ähnlichkeit der beiden aus nächster Nähe überwältigend deutlich. Fast schämte ich mich, es nicht viel früher bemerkt zu haben. Christoph riss mich aus meinen Gedanken: „Jann, wer ist denn das?“
    Ich beschloss, es kurz und schmerzlos zu machen. Für längere Ausführungen hatten die beiden jetzt ohnehin keine Nerven. „Christoph, das ist meine kleine Überraschung für dich: deine Halbschwester Celine Dubêre aus Brest. Celine, dein Halbbruder Christoph.“
    Die beiden betrachteten einander, nicht ängstlich oder misstrauisch, sondern erstaunt, neugierig, fasziniert von dem anderen. Da war sofort Freude, Zuneigung und Vertrauen zu spüren, und darüber war ich mehr als erleichtert.
    Christoph schien es allerdings erst einmal die Sprache verschlagen zu haben. Celine lächelte schüchtern: „Ich würde dich ja gerne von Papa grüßen, aber ich wusste bis vorgestern selbst noch nichts von dir.“ Sie hielt ihm die geöffnete Hand hin, und er legte zögernd ihre Kette hinein. „Merci.“
    Tante Melanie war zu uns herübergekommen. Sie legte Christoph eine Hand auf die Schulter und meinte mit gespielter Entrüstung: „Willst du deine Schwester nicht begrüßen?“
    Eine Spur Argwohn mischte sich in seinen Blick – oder war es doch Angst ?– als er sie fragte: „Wusstest du davon?“ Ich bekam einen Schreck. Wurde er jetzt wütend?
    Tante Melanie schüttelte den Kopf: „Nicht direkt, eigentlich erst seit gestern, und das hat mich auch ziemlich überfahren, aber ... ich denke, wir sprechen zu Hause darüber, meinst du nicht?“
    Christoph wandte sich wieder zu Celine um, die noch immer unverwandt zu ihm aufschaute. Wir drei hatten einige Stunden Zeit gehabt, um das alles zu verarbeiten, aber er musste es jetzt in wenigen Minuten verdauen.
    Endlich schien er sich aus seiner Starre zu lösen. Mit einem warmen Lächeln nahm er Celine einfach in die Arme: „Bienvenue à Munich, Celine. Je me réjouis vraiment ! Alors, ...“ Er hielt sie kurz von sich weg und sah ihr wieder prüfend in die Augen. Dann fuhr er fort, noch immer völlig überwältigt von dieser unerwarteten Offenbarung: „Es ist nur ... alles so überraschend! Ich wusste nichts davon. Ich meine .... ich wusste bis vor drei Tagen noch nicht einmal, dass ich heute überhaupt hier sein würde. Und jetzt bin ich hier, und Mama, und Jann und du auch noch! Das ist irgendwie ... ein bisschen viel auf einmal!“
    Er behielt Celine im Arm, öffnete den anderen und zog seine Mutter ebenfalls an sich. Ich trat hinter ihn und schmiegte mich von hinten an seinen Körper. Tatsächlich passten unsere Proportionen jetzt eins zu eins zusammen, und ich hoffte zum ersten Mal, jetzt nicht mehr weiter zu wachsen. Vorsichtig schob ich ein Bein zwischen seine und drückte meine Hüfte sanft gegen seinen Po. Für mehr würde heute Abend sicherlich noch genug Zeit sein.
    Schließlich löste Tante Melanie sich aus der Umarmung und forderte uns auf: „Lasst uns nach Hause gehen! Sonst denkt das Sicherheitspersonal noch, wir machen hier irgendwelche verbotenen Sachen.“
    Celine lachte, und Christoph drückte sie noch einmal an sich. „Mein Gott“, rief er, mittlerweile völlig überdreht von der Aufregung und Freude der letzten halben Stunde, „Ich habe eine Schwester! Leute, ich habe eine Schwester, von der ich mein Leben lang nichts wusste! Und die tollste Mutter der Welt, aber das wusste ich schon immer! Und“ – er drehte sich zu mir um und zwinkerte mir verschmitzt zu, während er in leisem Ton fortfuhr – „den süßesten Lover der Welt, aber das muss außer uns beiden niemand sonst wissen. Ich bin so reich – und hätte beinahe alles aufgegeben! Ich bin so unglaublich froh, wieder

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