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Wolkengaukler

Wolkengaukler

Titel: Wolkengaukler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anett Leunig
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weg. „Geht es dir gut? Wie war der Flug?“, fragte sie. Irgendwie war da doch eine Art Distanz, die sie überwinden mussten, um wieder zueinander zu finden. Oder war da noch etwas anderes? Er lächelte: „Beides okay.“
    Sie kramte nervös in ihrer Manteltasche herum. Er dachte, sie suchte ein Taschentuch und bot ihr eines aus seinem Päckchen an. Aber sie schüttelte nur stumm den Kopf. Dann schien sie gefunden zu haben, was sie suchte. Vorsichtig zog sie eine kleine Schmuckschachtel hervor und hielt sie ihm hin.
     
    Er wusste, was darin war.
    Er wollte sie nicht anrühren, nicht öffnen, nicht herausnehmen, was darin lag und ihm gehörte. Jede Faser seines Körpers schien sich dagegen zu wehren, und in seinem Kopf kreiste nur immer wieder ein einziger Schrei:
    NEIN, JANN, LASS MICH NICHT FALLEN!!!
    Schließlich nahm er ihr die Schachtel mit steifen Bewegungen ab und flüsterte tonlos: „Dann hat er sie also doch zurückgeschickt, und du wolltest es mir nur nicht sagen, was?“
    „Öffne sie“, erwiderte sie nur.
    Langsam nahm er den Deckel ab. Als er das silberne Leuchten darin sah, schloss er gequält die Augen.
    Doch dann musste er noch einmal hinsehen.
    Da stimmte etwas nicht!
    Er gab ihr den Deckel und nahm das Kettchen ganz heraus.
    Es sah aus wie seins, und doch wieder nicht. Es war feiner, leichter, kürzer. Absolut identisch war nur der Anhänger:
    ein C.
    Er sah sie fragend an. Was sollte das jetzt? Sie deutete mit einem Blick in die Schachtel. Darin lag noch ein Zettel. Er holte ihn heraus und faltete ihn umständlich auseinander. Sein Herz begann zu rasen, als er die Handschrift erkannte. Er traute sich nicht, die Botschaft zu lesen, doch die Buchstaben fügten sich in seinem Kopf von selbst zusammen:
    ‚Ich bin hier, und ich halte dich fest. Wenn du willst, dann für immer.’
    Er brauchte einen Augenblick, um zu begreifen, was das bedeuten konnte. Hoffnung keimte in ihm auf, noch zaghaft wie ein Schneeglöckchen nach einem langen, harten Winter. Aber wie konnte das denn jetzt noch möglich sein?
    Wieder ein fragender Blick zu seiner Mutter. Mit einem Kopfnicken deutete sie hinter sich, zu den Rolltreppen hinüber. In ihren Augen las er Spannung, Amüsement, Stolz und Liebe. Wieso?
    Er blickte in die Richtung, in die sie gedeutet hatte, suchte jedes einzelne Gesicht ab, das er erkennen konnte, das ihm zugewandt war ...
     
    ... und dann sah er genau in meine Augen.
    Sekundenlang sahen wir uns an, über eine Entfernung von vielleicht zehn Metern. Ich hatte ihn die ganze Zeit über beobachtet, mich jedoch so gestellt, dass er mich nicht früher als in diesem Moment hatte entdecken können.
    Ich spürte seinen Diamantblick auf meinem Gesicht, auf meinem Körper, bis tief in mir drin. Meine Nackenhaare stellten sich auf, meine Fingerspitzen kribbelten, und ich hätte schreien können vor Glück und Freude. Aber ich stand einfach nur da und lächelte ihn an.
    Seine Mutter gab ihm einen leichten Stoß. Ich sah sie die Worte formulieren: „Na los, geh rüber. Er wartet schon eine ganze Weile auf dich.“
    Langsam kam Christoph auf mich zu, seinen Blick fest auf mich geheftet. Mit jedem Schritt schien die Luft zwischen uns mehr und mehr zu knistern. Schließlich standen wir uns direkt gegenüber. Ein paar Sekunden lang taxierten wir uns beide, als müssten wir erst einmal abchecken, ob der andere auch derjenige war, den jeder von uns erwartet hatte. Vorsichtig nahm ein jeder den anderen in sich auf, streichelte und liebkoste ihn, umschlang ihn und hielt ihn fest – alles nur mit einem Blick in unsere Augen.
    Schließlich flüsterte er: „Du bist ein gutes Stück gewachsen.“
    Tatsächlich, mittlerweile war ich genauso groß wie er, hatte die fehlenden fünf Zentimeter aufgeholt. Mit  meiner Antwort, die sich spontan über meine Lippen drängte, wurde mein Lächeln noch um einiges breiter: „Dann sind wir jetzt wenigstens nicht mehr auf den Podest vor dem Kamin angewiesen.“
    Er stutzte; dann breitete sich auch auf seinem Gesicht ein Lächeln aus, seine Augen funkelten belustigt; schließlich brach sich ein lautes, befeiendes Lachen Bahn durch seine Lungen, und dann endlich zog er mich in seine Arme, presste mich an sich und sich an mich, klammerte sich an meinen Körper wie ein Ertrinkender und hielt mich selbst mit über Wasser. Auch ich umschlang ihn fest, spürte seine Wärme, atmete seinen Duft, fühlte die Weichheit seines Haars und seinen Herzschlag direkt an meinem Brustkorb – und

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