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Wolkentaenzerin

Wolkentaenzerin

Titel: Wolkentaenzerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nichole Bernier
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sobald sie außer Reichweite der Verandabeleuchtung war.
    »Kate!«
    Sie begann zu laufen. Die Dunkelheit umhüllte sie, und sie ließ Daves Worte hinter sich –  Du hast sie nur benutzt, Handlangerin  –, genau wie die Truhe, die letztendlich nichts preisgegeben hatte, außer dass Elizabeth nicht so gewesen war, wie es den Anschein gehabt hatte, sondern sich vielleicht so gegeben hatte, weil Kate sie so behandelt hatte. Das weiche kühle Gras wurde am Strand gröber, doch Kate verlangsamte ihr Tempo nicht, als sie den Sand erreichte. Sie rannte am Wasser entlang, selbst noch als Steine in ihre Fußsohlen drückten und trockenes Seegras an den Knöcheln schürfte.
    Sie stieß an einen Stein, und das brachte sie zum Stehen. Der Schmerz fuhr ihr vom kleinen Zeh bis in den Knöchel. Sie atmete scharf ein und beugte sich vornüber, die Hände auf den Knien, bis die stechenden Schmerzen nachließen. Das Wasser war wenige Meter entfernt, dunkel wie verschluckender Erdboden. Kate blieb vornübergebeugt, bis sie wieder zu Atem gekommen war. Handlangerin . Dann zog sie sich das Sweatshirt über den Kopf, stieg aus ihrer Hose und ging Schritt für Schritt ins Meer. Das kalte Wasser betäubte ihren Zeh, und sie ging weiter, ohne zurückzuschrecken. Sie bekam eine Gänsehaut oberhalb der Stelle, wo das Wasser ihre Schienbeine traf, dann ihre Knie, dann die Oberschenkel. Die Haare an ihren Beinen, Armen und auf ihrem Schädel richteten sich auf. Mächtiger als die Leere, durchdringender als die Angst.
    Kate tauchte ins Wasser, und als sie wieder an die Oberfläche kam, verfiel sie in den Rhythmus der Schwimmerin, die sie jahrelang nicht mehr gewesen war. Sie schwamm geradewegs aufs Meer hinaus und drehte sich nach jedem vierten Schwimmzug auf die Seite, um Luft zu holen. Ihr Zeh pulsierte bei jedem Stoß, bis sie es schließlich nicht mehr spürte. Sie hielt die Augen geöffnet, doch das brennende Salzwasser spülte das Bild von Elizabeth nicht fort, ihr Gesicht mit seinem üblichen Ausdruck sanften, undurchschaubaren Wohlwollens, wie sie einen ansah und einem zuhörte, dabei aber wenig von sich selbst offenbarte. In dem Blick hatte eine zermürbende Collage aus Bewunderung, Neid und Verbitterung gelegen, doch unter alldem ein Flehen. Bleib , hatte der Blick gesagt. Lass mich mehr von dir haben .
    Kate schwamm ohne Zeitgefühl und dachte nur flüchtig an die Gefahren, die sich unter ihr und um sie herum befinden mochten – verrosteter Schutt, ansteckende Bakterien, Haie. Nur wenig Geräusche waren zu hören. Wind über dem Wasser. Das Scheppern von Takelage. Dann Musik und Gelächter. Sie hielt inne und hob den Kopf über die Wasseroberfläche.
    Das Partyboot, das sie zuvor gehört hatte, lag vor ihr, nahe genug, so dass sie die Musik deutlich hören und die Menschen an Deck mit ihren Drinks sehen konnte. Eine Frau in einem schwarzen Neckholder-Kleid, ein Mann, dessen Hemd bis zum Bauchnabel aufgeknöpft war. Die Frau berührte den Mann am Arm als Reaktion auf etwas, das er gesagt hatte, und warf den Kopf lachend zurück.
    Die Szene wirkte wie aus einer anderen Welt, meilenweit entfernt vom Strand, vom Bungalow und von den Kindern, dem täglichen Trott, sie glücklich, bodenständig und sicher aufwachsen zu lassen, und noch weiter entfernt von Dave, der wahrscheinlich gerade in seinem Garten auf und ab lief und über sie fluchte. Dann dachte sie an das Bild in der Küche der Martins, die zwei Stadthäuser. Eine Frau, die Wein trank und den Kopf in wildem Lachen zurückwarf, während nebenan eine Mutter das lange nasse Haar ihrer Tochter kämmte.
    Kate trat weiter Wasser und malte sich aus, was Dave wohl gerade machte. Schwang er seinen Driver im dunklen Garten, oder saß er in seinem Spider und trank ein Bier bei laufendem Radio? Oder las er womöglich gerade Elizabeths vorletztes Tagebuch und erfuhr, wie fasziniert sie von einem Mann gewesen war, der sie so akzeptiert hatte, wie sie war, und sie aus der häuslichen Lethargie geweckt hatte? Wenn Dave Elizabeths Einträge über diesen Mann las und von ihrer Entscheidung, mit ihm zu verreisen, würde er vielleicht aufblicken und hinten in der Garage hinter seinem Auto ihre Staffelei sehen, die zusammengeklappt dort stand und auf der sich der Staub sammelte. Er fuhr sich vielleicht mit der Hand durchs Haar, das dicht war bis auf die Stelle, die Elizabeth nicht zu bemerken vorgegeben hatte, und fragte sich möglicherweise, seit wann es schiefgelaufen war, was geschehen war, das

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