Wolkentöchter
Töchter niemals wiedersahen; sie waren meine Art, all jenen Töchtern, die ihre Mütter nie kennengelernt haben, eine Botschaft und eine liebevolle Umarmung zu übermitteln.
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Kleiner Schnee, wo bist du?
Sie ist so klein, das arme Würmchen, und sie in ein Waisenhaus zu stecken würde sogar die Geister ihrer toten Eltern empören.
I ch habe ein eigenes, ganz besonderes Geheimnis. Ich spreche kaum darüber, aber es ist der Grund, warum ich mich so bemühe, Mütter und Töchter zusammenzubringen.
Ich hatte einmal ein Pflegekind. Sie hieß Xue’r.
Sie kam Ende 1990 zur Welt, aber es war eine schwierige Geburt, bei der ihre Mutter zu viel Blut verlor; sie starb, als Xue’r gerade erst drei Tage alt war. Obwohl die Mutter nicht mal Gelegenheit gehabt hatte, ihre Tochter an die Brust zu nehmen, gab sie ihr den Namen Xue’r, »Kleiner Schnee«, nach den großen Schneeflocken, die an dem Tag ihrer Geburt draußen am Fenster vorbeigeschwebt waren, wie Feen, die das Kind in die Welt holten. Es gab noch etwas: Auf der Stirn hatte das Baby ein dunkelrotes Geburtsmal, das nach Aussagen der Krankenschwester von einer Träne der sterbenden Mutter in die Haut gebrannt worden war, als sie ihre Tochter in den Armen hielt …
Ihre Eltern hatten sich sehr geliebt, und nach dem Tod seiner Frau hatte der Ehemann, ein Chirurg, große Mengen Schlafmittel genommen, sich mit einem Skalpell die Pulsadern geöffnet und in der Leichenhalle des Krankenhauses neben seine Frau gelegt. Er hinterließ einen sehr knappen Abschiedsbrief: Er könne seine geliebte Frau nicht einsam und allein in der Unterwelt lassen. Über seine Tochter Kleiner Schnee verlor er kein Wort.
Ich war in dem Krankenhaus, um Menschen zu interviewen, die in einem Schneesturm verletzt worden waren, und eine Krankenschwester erzählte mir diese tragische und zugleich bittersüße Geschichte. Ich beschloss, mir das Waisenkind anzusehen. Kleiner Schnee lag still in einem Gitterbettchen auf der leeren Kinderstation. Ob zufällig oder bewusst, jedenfalls hatten die Schwestern sie nah ans Fenster geschoben, wo die fallenden Schneeflocken auf das Gesicht des Säuglings Schatten malten, die aussahen wie die Tränen der Mutter, die ihr Baby zurückgelassen hatte. Als ich die Kleine ansah, merkte ich, wie mir selbst Tränen in die Augen traten.
Ich hob sie hoch und küsste das kleine rosa »Tränenmal« des Babys, damit es hoffentlich spürte, dass es nicht nur von seiner Mutter geliebt wurde, sondern auch noch von anderen Menschen. Kleiner Schnee schlug ihre strahlenden Augen auf und schien tief in meine hineinzublicken. Die Schwester sagte, dass beide Seiten der Familie die Kleine ablehnten, weil sie ein Mädchen war, und das Krankenhaus sie deshalb in ein Waisenhaus geben würde.
Auf dem Nachhauseweg ging mir Kleiner Schnee nicht mehr aus dem Kopf. Sobald es am nächsten Morgen hell wurde, fuhr ich durch den wirbelnden Schnee noch einmal zum Krankenhaus, wo man mir sagte, dass der Säugling am Nachmittag ins Waisenhaus gebracht werde, wenn das Wetter besser sei. Ich ging zur Stationsschwester und erklärte, dass ich Kleiner Schnee in Pflege nehmen wolle. Sie sah mich an und sagte: »Xinran, so etwas sollten Sie nicht überstürzen. Mal abgesehen von den Formalitäten, die erledigt werden müssten – und ich glaube kaum, dass man Sie akzeptieren würde –, gäbe es Probleme, wenn das Kind ins schulpflichtige Alter kommt. Außerdem haben Sie schon ein Kind, deshalb dürfen Sie aufgrund der Ein-Kind-Politik kein zweites adoptieren.«
»Aber – wenn ich sie nur in Pflege nehme?«, flehte ich. »Das würde den Staat doch entlasten.«
»Es geht Ihnen doch gar nicht darum, den Staat zu entlasten. Sie haben Mitleid mit der Kleinen«, sagte die Schwester schroff, aber zutreffend.
»Zugegeben, das stimmt«, räumte ich ein. »Sie ist so klein, das arme Würmchen, und sie in ein Waisenhaus zu stecken würde sogar die Geister ihrer toten Eltern empören.«
»Ja, ganz bestimmt, natürlich. Wir sind alle Menschen, wir haben Gefühle. Aber so etwas hat das Krankenhaus noch nie gemacht. Wir können sie Ihnen nicht in Pflege geben. Das Recht dazu haben nur die Großeltern, nicht mal Onkel und Tanten dürfen das. Das Familienplanungsbüro würde befürchten, dass damit ein Präzedenzfall geschaffen wird. Dann könnten die Verwandten von Paaren, die ein ›zusätzliches‹ Baby bekommen, versuchen, das Kind zu adoptieren. Es geht nicht. Wir würden uns nur Ärger
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