Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)
ohne jegliche Wertung.«
»Soso.«
»Korrekt.«
Sobald das Licht aus war, überkam mich schon nach kurzer Zeit eine bleierne Müdigkeit.
Sie begann an meinem Geschlecht zu knubbeln. Es rührte sich nichts. Vielleicht, weil mir diese Knubbelei schon zu vertraut war, um mich noch sexuell zu erregen.
Merkwürdigerweise war es mir äußerst unangenehm, dass ich meiner Frau nur ein einziges sexuell erregbares Organ anbieten konnte. Bei Frauen gab es da einfach mehr Ausweichmöglichkeiten.
»Ich verstehe«, sagte Jutta denkbar kurz angebunden und ließ im selben Moment von mir ab.
»Tut mir wirklich leid«, sagte ich, »aber ich kann ja auch nichts dafür.«
»Das scheint dein Problem zu sein«, sagte sie, »dass du für nichts verantwortlich sein willst.«
»Ich bin nur zu müde«, wies ich ihre Anschuldigung zurück.
»Aha!«, meinte sie.
Am nächsten Morgen suchte ich im Internet nach einer Schule fürs Drachenfliegen. Ich hatte die verrückte Idee, Jutta noch vor der Gartenparty mit einem Drachenfliegerschein zu überraschen, eventuell sogar auf die Party zu schweben. Ich wollte möglichst schnell an Herausforderungen wachsen, um Gunnar auf die Ränge verweisen zu können.
Nahe Berlin glaubte ich eine für mich passende Schule gefunden zu haben. Ich las: »Grundkurs Tandem. Beim ersten Mal fliegen Sie in der oberen Position und bekommen vom Fluglehrer den Start, den Schlepp auf Ausklinkhöhe, den freien Flug und die Landung demonstriert. Danach werden die Positionen gewechselt. Nach dem Ausklinken in ca. 700 Metern Höhe können Sie nach Herzenslust den Drachen steuern. Geben Sie richtig Gas, ziehen Sie enge Kurven, gleiten Sie wie ein Vogel.«
Ich hörte auf zu lesen. Es war lächerlich. Ich wog über hundert Kilo und würde nie fliegen wie ein Vogel. In meinem ganzen Leben nicht!
Danach ging ich zur Erholung ins Blumengeschäft und kaufte einen riesigen Strauß Gladiolen. Als mich die Verkäuferin fragte, ob sie es als Geschenk verpacken solle, lehnte ich unwirsch ab, die Gladiolen seien ausschließlich für mich bestimmt.
In diesem Augenblick wurde mir klar, dass ich nicht zu müde war, sondern einfach nur zu zufrieden, um in meinem Leben irgendetwas zu ändern.
4
Bald war ich nicht mehr so richtig glücklich mit meiner Zufriedenheit. Das heißt, ich war zwar immer noch zufrieden, konnte diesen Zustand aber nicht mehr wirklich genießen.
Was war passiert?
Eines Morgens ging ich im Bademantel runter ins Wohnzimmer und erschrak. Beim Anblick der Blumensträuße, Möbel und edlen Fayencen fühlte ich plötzlich eine unerwartete Leere. Ich war regelrecht abgestoßen von all der kunstvollen Dekoration, als hätte ich nie irgendeinen Bezug dazu gehabt. Die Bilder, die ich in langwierigen Prozeduren an die Wände genagelt hatte, ließen mich kalt. Und selbst im Kühlschrank, sonst ein steter Quell der Freude, fand ich nichts, was mich auch nur annähernd begeistert hätte. Ich hatte keine Lust mehr zu kochen. Schon beim Durchblättern der Kochbücher bemerkte ich eine heftige Abneigung gegen die ausgeklügelten Gerichte. »Dreierlei vom Huhn« und »geeister Himbeerschaum« erzeugten einen kaum zu beschreibenden Ekel. Auf einmal war mir alles egal. Kein Mensch, dachte ich, kann ja nur zufrieden sein, ohne dabei den Verstand zu verlieren. Begann ich etwa langsam meinen Verstand zu verlieren?
Schweißgebadet trat ich hinaus auf die Terrasse. Der Rasen war gemäht, die Hecken gestutzt und die Blumen blühten in Reih und Glied. Eigentlich war alles wie immer, und doch war in diesem Moment alles anders als sonst.
Je länger ich den Rasen betrachtete, desto öder und langweiliger kam er mir vor. Ein bisschen wirkte er wie ein Kunstrasen, perfekt geschnitten und gleichmäßig grün. Nicht mal Maulwürfe hatten sich hierher verirrt.
Und mit einem Mal glaubte ich es zu wissen: Mir fehlte ein Problem. Ich hatte einfach keine anständigen Sorgen. Seit Jahren schlief ich fest wie ein Murmeltier, ich litt weder an Kälte noch an Hunger, ich brauchte vor nichts Angst zu haben, selbst meine Frau liebte mich mit einer kaum nachvollziehbaren Dankbarkeit. Ich lebte in einem zwei Meter dicken Schutzanzug, der mich vor allen Verletzungen bewahrte.
Ich musste irgendetwas unternehmen. Ich brauchte ein schwerwiegendes Problem!
Da ein richtiges Problem aber nicht so schnell zu finden war, wie ich in meiner ersten Euphorie gehofft hatte, ging ich hoch in mein Zimmer, um mich ein wenig mit Dirigieren abzulenken. Ich
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