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Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Titel: Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Beldt
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der Sofaecke, merkte aber schnell, dass ich in Gegenwart der vielen gemeinsamen Erinnerungsstücke nicht richtig in Fahrt kam. Ja, ich schämte mich regelrecht, als würden die Gegenstände meine heimliche Leidenschaft verhöhnen.
    Deshalb dirigierte ich nur noch, wenn das Mädchen nicht in der Hängematte lag. Allerdings war es dazu erforderlich, meinen Zeitplan mit den Balkonaufenthalten des Mädchens zu koordinieren. Nach einigen Tagen stellte ich fest, dass ich mehr Zeit in meinem Zimmer verbrachte als sonst. Aus irgendeinem Grund interessierte es mich, was das Mädchen dort drüben den ganzen Tag über trieb, obwohl es mir ja egal sein konnte, ob das Kind den ganzen Vormittag auf dem Balkon verbrachte und die Schule schwänzte oder spätnachmittags mit vollgepackten Tüten zurückkehrte und bis zur Dämmerung Pfeife rauchend in der Hängematte schaukelte. Die Pfeife war zwar nur ein Spielzeug, aber sie benutzte sie mit der Ernsthaftigkeit eines leidenschaftlichen Pfeifenrauchers. Manchmal trug sie auch eine Augenklappe und ein schwarzes Kopftuch, während sie an der Balkonbrüstung stand und mit dem Fernrohr die Gegend absuchte, als wäre das Haus ein großes Piratenschiff, das über die Weltmeere segelte. Da ich ihre Eltern nie zu Gesicht bekam, fragte ich mich besorgt, ob sie ganz allein dort wohnte. Hörte man nicht dauernd von verwahrlosten Kindern, die hilflos in vermüllten Wohnungen lebten und sich von Schaumstoff ernährten? Verwahrlost und abgemagert sah das Mädchen jedoch keineswegs aus. Im Gegenteil. Ich hatte noch nie ein selbstständigeres Kind in diesem Alter erlebt. Ich musste mir allerdings bei näherem Nachdenken selbst gestehen, dass ich Kinder in ihrem Alter überhaupt nicht kannte.
    Was war nur in mich gefahren? Kaum hatte Jutta am Morgen das Haus verlassen, rannte ich hoch in mein Zimmer und sah nach, ob das Mädchen bereits auf dem Balkon war. Inzwischen hatte ich meinen Beobachtungsposten so eingerichtet, dass ich gemütlich mehrere Stunden neben dem Fenster verbringen konnte. Eine Leiter mit Sitzkissen und eine gut gefüllte Packung Pralinen sorgten für angemessenen Komfort. Schließlich ging ich nur noch zu den Mahlzeiten nach unten. Die übrige Zeit verbrachte ich neben dem Fenster.
    Den Frust über mein problemloses Leben bekam bald auch Jutta zu spüren.
    Eines Abends – wir saßen bei Kerzenschein und klassischer Musik im Esszimmer und aßen vegetarische Gemüsepfanne – wollte ich es endlich genau wissen.
    »Du hast nie gesagt, ob es dir schmeckt?«, fragte ich, ohne es wie einen Vorwurf klingen zu lassen.
    Jutta blickte mich an, als hätte ich sie gerade aufs Schwerste beleidigt.
    »Wie kommst du denn darauf?«
    Sie übertrieb bei diesen Gelegenheiten gern, weil sie wusste, dass ich Streit hasste und schnell wieder zurückruderte, um unser harmonisches Beisammensein nicht zu gefährden. Selbst leise Kritik an meiner Auswahl des Fernsehprogramms konnte mir den ganzen Abend verderben.
    Aber dieses Mal nahm ich mir fest vor, die Sache durchzuziehen.
    »Weil du dich nie dazu geäußert hast.«
    »Habe ich nicht?«
    Ich sah sie ernst an, so ernst es für meine Verhältnisse eben ging.
    »Kann ich mir gar nicht vorstellen«, sagte sie abwiegelnd.
    Einen Moment sah es so aus, als würde ich knapp vorne liegen. Doch Jutta wäre nicht in die Politik gegangen, wenn sie nicht sofort ein überzeugendes Gegenargument parat gehabt hätte.
    »Wenn ich nichts sage, heißt das, dass es mir schmeckt. Eigentlich solltest du das inzwischen wissen.« Sie lächelte. Ich spürte, dass es nicht gut für mich stand. Aber worum ging es in der Sache überhaupt? Ich wusste nur, dass ich lange genug stillgehalten hatte. Meine Geduld war am Ende. Was danach geschah, war mir allerdings schleierhaft.
    Ich sah mich wütend im Esszimmer um. Wo bis vor kurzem noch üppige Blumensträuße ihren Duft verströmten, standen jetzt nicht einmal mehr Vasen. Ich hatte keine Lust mehr gehabt, eine Wohnung zu dekorieren, für die ich nichts mehr empfand.
    »Ist dir eigentlich nichts aufgefallen?«, fragte ich jetzt schon etwas nachdrücklicher.
    Jutta war mein leicht drohender Unterton nicht entgangen.
    »Was ist heute bloß mit dir los?«
    Ich zuckte die Schultern. Ich wusste es ja selbst nicht genau.
    »Du bist so« – sie stockte –, »du bist irgendwie so anders.«
    Sie schien besorgt, aber nicht wie früher, wenn sie annahm, einige tröstende Worte reichten aus, um mich wieder zu besänftigen. Sie schien nervös,

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