Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)
Diesmal lächelte sie verlegen, als wäre es ihr unangenehm, dass das Thema ausgerechnet jetzt zur Sprache kam. Weshalb erzählte sie so etwas? War es ihr peinlich, dass ihr Mann den ganzen Tag zu Hause verbrachte und sich mit Kochen und Dekorieren beschäftigte?
»Ich würde auch gerne mal ein Sabbatical einlegen«, fuhr Gunnar fort, »aber unsere Chefin lässt uns ja nicht in Ruhe.«
Eine gefühlte halbe Stunde sprach er von all den Sachen, die er während seiner Auszeit unternehmen würde. Unterm Strich schien kaum Zeit zu bleiben, um auf die Toilette zu gehen.
»Das wäre wirklich der Hammer«, schloss er seine Ausführungen ab, um sich im nächsten Moment verschwörerisch mir zuzuwenden. »Du machst es genau richtig«, sagte er, »den ganzen Zirkus einfach mal hinter sich zu lassen.« Er rückte seine Brille zurecht und atmete so tief durch, als stünde der Sauerstoff in erster Linie ihm zur Verfügung. Ich traute mich kaum noch Luft zu holen.
»Dann kannst du ja endlich mal tun, wozu du schon immer Lust hattest.«
»Er kommt viel rum«, schlug sich Jutta einen Moment auf meine Seite. Offenbar ahnte sie, dass sie mir Unrecht getan hatte.
»Hast du dir denn irgendwas vorgenommen?«, fragte Gunnar neugierig. Ich war überrascht, dass er sich so für mich interessierte.
Ich dachte kurz nach.
»Demnächst mache ich einen Piratentest«, erklärte ich vollkommen ernst.
Gunnar sah mich ungläubig an. Er schien zu überlegen, wie er möglichst souverän darauf reagieren konnte.
»So, ja, das ist doch super!«, rief er schließlich begeistert. »Davon habe ich auch schon gehört. Soll ja ziemlich schwierig sein. Du musst mir unbedingt erzählen, wie es gelaufen ist.«
Eine Sekunde glaubte ich wirklich, dass so ein Piratentest existierte.
Jutta trank einen großen Schluck Wein und blickte in eine andere Richtung.
»Spielst du eigentlich auch Squash?«, wandte sich Gunnar schnell einem neuen Thema zu.
»Klar, super«, entgegnete ich sofort, nur um das Wort auch einmal zu verwenden. Es machte einen irgendwie dynamischer.
»Klasse«, sagte Gunnar, »dann können wir ja mal zusammen Squash spielen, okay?«
»Super«, sagte ich. Ich war mir ziemlich sicher, dass er sein Angebot schon in der nächsten Sekunde wieder vergessen hatte.
»Jutta kann natürlich auch mitkommen«. Er sah gönnerhaft zu meiner Frau, die nur hilflos lächelte.
»Der Kartoffelsalat ist übrigens einsame Spitze«, meinte er noch, während er sich abwandte, um zur Terrasse zu gehen. »Endlich mal nicht dieser ganze Scampi-Mist!«
Eine Weile standen Jutta und ich stumm nebeneinander.
»Du spielst Squash?«, fasste sich meine Frau als Erste.
»Natürlich«, erwiderte ich. Dabei wusste ich nicht mal, wie man einen Schläger hielt.
»Aha«, machte Jutta.
Wir schwiegen erneut.
»Und was soll das mit dem Piratentest?«, fragte sie weiter.
»Ich nutze mein Sabbatical eben für neue Herausforderungen«, antwortete ich gelassen. Und dann folgte ich Gunnar auf die Terrasse und aß eine riesige Portion Würstchen mit Kartoffelsalat.
6
Von Tag zu Tag behagte es mir weniger, dass ich mich so deutlich vor Gunnar und meiner Frau festgelegt hatte. Aber zurückrudern konnte ich jetzt auch nicht, schließlich wollte ich ein Mann der Tat werden. Ein Mann, dem ein Drachenfliegerschein längst nicht genügte.
Mit der Ruhe war es seit der Gartenparty jedenfalls erst mal vorbei.
Doch was bedeutete so ein Piratentest eigentlich konkret?
Ich hatte nie die üblichen Jungsspiele gespielt. Mutproben und Weitpinkeln gehörten nicht zu meiner Freizeitbeschäftigung. Stattdessen saß ich zu Hause und spielte mit einem Mädchen namens Henriette Kaufmannsladen. Ich war immer der Kunde. Während Henriette hinter der Verkaufstheke hockte, ließ ich mich von ihr beraten. Einmal sollte ich auch den Verkäufer spielen. Ich saß dermaßen lustlos hinter der Theke, dass ich ihr jegliche Freude am Kaufen verdarb.
Ich hatte also keine Ahnung, ob der Piratentest zu jenen Spielen gehörte, die man in einem bestimmten Alter normalerweise spielte.
Doch Zoe war seit Tagen verschwunden. Und ohne Zoe würde dieser Test niemals stattfinden können.
Ich lief wieder durch die Straßen. Ging in alle Supermärkte im Umkreis von zwei Kilometern. Suchte in Parks und nahen Waldstücken. Aber sie blieb unauffindbar. Nach vier Tagen gab ich auf.
»Hast du deinen Piratentest eigentlich schon bestanden?«, fragte mich Jutta eines Abends wie aus heiterem Himmel. Ich war leicht
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