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Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Titel: Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Beldt
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verunsichert.
    »Noch nicht«, erwiderte ich, »aber die Vorbereitungen laufen auf Hochtouren.«
    »Ich finde es jedenfalls schön, dass du mal rauskommst.« Sie neigte sich über ein Konvolut Akten und notierte sich Stichworte auf einem Notizblock.
    »Ja, ja«, sagte ich, »und dann gleich ein Piratentest!« Es durfte nicht der Eindruck entstehen, dass ich es mir zu leicht machte.
    »Du schaffst das schon«, meinte Jutta zuversichtlich und blickte kurz zu mir auf.
    Ich war überrascht, dass sie mir zutraute, einen Test zu bestehen, den sie wahrscheinlich genauso wenig kannte wie ich.
    Am fünften Tag hatte ich eine Idee. Seit längerer Zeit hatte ich schon nicht mehr dirigiert. Vielleicht würde sie in dem Moment auftauchen, wo ich wieder anfing zu dirigieren.
    Ich legte Mahlers siebte Sinfonie in den CD -Spieler, fast anderthalb Stunden Musik, stellte mich gut sichtbar ans Fenster und warf mich in den ersten Satz. Nach fünf Minuten blickte ich rüber zum Balkon. Außer der Piratenflagge rührte sich nichts. Ich dirigierte weiter. Ich hatte die irre Vorstellung, dass meine Dirigate am Fenster und Zoes Aufenthalte auf dem Balkon ursächlich zusammengehörten. Ja, das Dirigieren an sich kam mir auf einmal sinnlos vor, wenn ich dabei nicht von Zoe beobachtet wurde.
    Gab es Grund zur Annahme, dass ich verrückt wurde?
    Als ich mit Mahler durch war, widmete ich mich Beethovens Pastorale .
    Plötzlich verstand ich die Rituale sogenannter primitiver Völker. Wenn es lange nicht geregnet hatte und die Ernte zu verdorren drohte, fingen sie einfach an zu tanzen, um den Regengott wieder gnädig zu stimmen.
    Nach Beethoven gönnte ich mir eine kleine Verschnaufpause. Ich machte mir einen Kaffee und setzte mich in meinen Lieblingsledersessel im Wohnzimmer. Das Sitzpolster hatte sich im Lauf der Jahre so an meinen Körper angepasst, dass der Eindruck entstand, ich wäre ein Teil des Sessels. Auch die Armlehnen zeigten deutlich die Abdrücke meiner Arme, selbst einzelne Finger waren zu erkennen.
    Ich hatte immer eine Schwäche für Sitzmöbel gehabt. Was für andere Schuhe, Autos oder Computer, waren bei mir Sessel, Stühle und Hocker. Ich saß nun mal einfach gerne. Wo immer ich hinkam, probierte ich als Erstes die angebotenen Sitzmöglichkeiten aus. Wenn mir ein Stuhl gut gefiel, konnte ich endlos darauf sitzen bleiben. Eine Picasso-Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie hatte ich versäumt, weil mir die Stühle der Barcelona-Serie von Mies van der Rohe im Obergeschoss so gut gefielen, dass ich nicht mehr aufstehen wollte. In einer Bankfiliale saß ich einmal so lange auf einem perfekt geformten Schalenstuhl, bis mich eine Mitarbeiterin aufforderte, das Institut zu verlassen.
    Leider gehörte das Sitzen nicht zu einer gesellschaftlich anerkannten Tätigkeit wie zum Beispiel das Fechten. Im Grunde war es sogar vollkommen nutzlos. Ich bewirkte nichts, wenn ich drei Stunden zufrieden auf einem Schalenstuhl in einer Bankfiliale saß. Ich konnte dadurch weder interessierte Zuschauer gewinnen noch irgendeine Medaille. Meine Leidenschaft hatte für die Gesellschaft nicht den geringsten Wert.
    Oft fragte ich mich, weshalb ich ausgerechnet für Tätigkeiten entflammte, die keinen anderen Zweck hatten, als mich zu erfreuen. Warum brannte ich nicht darauf, eine neue Computersoftware zu entwickeln oder wenigstens die Steuern säumiger Bürger einzutreiben? Warum saß ich am liebsten bequem und ließ meine Gedanken schweifen?
    Dieses zwecklose Herumsitzen und Nachdenken schien mich auf einmal jedoch nicht mehr zufriedenzustellen. Ich stellte mir vor, wie ich später in einer langen Schlange vor der Himmelspforte stand und Gott meine Lebensleistung vortragen musste. Während die anderen Akten voller Urkunden, Gehaltsabrechnungen und Fotos ihrer Enkel dabeihatten, stand ich mit leeren Händen da und konnte lediglich auf mein angenehmes Leben verweisen. »Sonst haben Sie nichts getan?«, würde mich Gott fragen und dabei mit einer Mischung aus Staunen und Entsetzen an mir herabblicken. »Nein«, würde ich erbleichend antworten, »ich habe es mir eben nur nett gemacht.« »Nett gemacht?«, würde Gott ausrufen, merkwürdigerweise hatte er gewisse Ähnlichkeiten mit Johannes Brahms, klein, rundlich, ungepflegter Vollbart, »damit kommen Sie bei mir aber nicht durch. Sie hätten an Herausforderungen wachsen und Probleme bewältigen müssen!« Dass Gott nicht nur aussah wie Johannes Brahms, sondern auch noch redete wie meine Frau, machte die

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