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Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)

Titel: Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Beldt
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übergegangen waren. Ich vermutete sogar, dass selbst Jutta inzwischen den Überblick verloren hatte und noch glaubte, Berufliches zu besprechen, während Gunnar sie längst in sein Privatleben hineingezogen hatte.
    »Ich dachte immer«, sagte ich, »du findest es gut, wenn ich etwas Eigenes habe.«
    Sie blickte mich böse an. »Damit habe ich aber nicht Frau Drux gemeint!«
    In diesem Augenblick tauchte Helga im Garten auf. Seit kurzem benutzte sie nicht mehr den Haupteingang, sondern eine Lücke in der Hecke, die unsere Grundstücke trennte. Dadurch bekamen ihre Besuche mehr und mehr einen intimen Charakter, was sich zunehmend auch auf Helgas Kleidungsstil auswirkte. Hatte sie anfangs noch hübsche Kleider getragen, setzte seit ihrem inoffiziellen Weg durch die Hecke eine stete Vernachlässigung ihres Erscheinungsbildes ein. Es war zu befürchten, dass sie bald auch im Nachthemd auf unserer Terrasse erschien. An diesem Tag trug sie lediglich Shorts und ein T-Shirt ohne BH , nicht einmal Schuhe hatte sie an. Ihr Haar wirkte nur flüchtig gekämmt, und die Schminke um ihre Augen sah aus, als stammte sie im Wesentlichen noch vom Vortag. Dass ihr Mann unter diesen Umständen beruflich oft bis in die späten Abendstunden zu tun hatte, wunderte mich jetzt überhaupt nicht mehr.
    Mir war nicht ganz klar, wie ich ihre Nachlässigkeiten bewerten sollte. Einerseits deuteten sie auf einen vertrauten Umgang, den ich durchaus zu schätzen wusste, andererseits schien es zu zeigen, dass ich in ihrer Wahrnehmung als Mann schon längere Zeit keine Rolle mehr spielte. Mit anderen Worten: Im Spiegel ihrer Vernachlässigung kam ich als Mann praktisch nicht vor. Obwohl ich nie ernsthaft daran gedacht hatte, ein Verhältnis mit ihr zu beginnen, störte mich ihre mangelnde Sorgfalt auf einmal doch mehr, als ich bereit war zuzugeben.
    Jedenfalls hatte Jutta prompt die Bühne verlassen, als sie unserer Nachbarin ansichtig wurde, und war im Haus verschwunden.
    »Was hast du denn mit deinem Auge gemacht?«, rief Helga, als sie die Stufen zur Terrasse hinaufstieg.
    Ich winkte ab, als wäre die Verletzung nicht der Rede wert.
    »Das sieht ja furchtbar aus, bist du hingefallen?«
    Sie setzte sich neben mich und schenkte uns Kaffee ein, was ich in Anbetracht meines Hausrechts doch etwas unverschämt fand. Außerdem ärgerte es mich, dass sie mir offenbar nur noch zutraute hinzufallen, als gehörte ich bereits in die Kategorie älterer Männer, bei denen man ständig Angst haben musste, ob sie den Tag unfallfrei überstanden.
    »Nur eine kleine Auseinandersetzung«, bemerkte ich, »alles halb so wild.«
    »Mit deiner Frau?« Sie sah mich besorgt an.
    Hielt sie es wirklich für möglich, dass ich bei einer Auseinandersetzung mit meiner Frau den Kürzeren gezogen hatte?
    Ich versuchte, ruhig zu bleiben.
    »Nein, mit einem polnischen Touristen.«
    »Du schlägst dich mit einem Touristen?«
    Ich überlegte, wie ich die Sache etwas dramatisieren konnte, ohne gleich unglaubwürdig zu klingen. Das Problem war, dass alles Dramatische in Bezug auf meine Person nie sonderlich glaubhaft klang. Mein Leben verlief so undramatisch, dass man es eigentlich niemandem erzählen konnte.
    »Ich bin spazieren gegangen«, begann ich, »und dann kam mir so ein Typ entgegen und hat mich nach dem Weg gefragt.« So weit schien sie mir noch zu folgen, denn Spazierengehen gehörte von jeher zu meinen Lieblingsbeschäftigungen. Im näheren Umfeld war ich sogar als »der Spaziergänger« bekannt.
    »Und dann?« Vor Aufregung nahm sie sich ungefragt ein großes Stück Kuchen.
    Was dann passiert war, wusste ich zu diesem Zeitpunkt auch noch nicht so genau, deshalb beschrieb ich zunächst den Typen, den ich als besonders brutale Erscheinung schilderte.
    »Dem möchtest du nicht im Dunkeln begegnen«, fügte ich schaudernd hinzu.
    Helga stach in den Käsekuchen. »Das ist ja schrecklich. Und dann?«
    Ich nahm mir auch ein Stück, um etwas Zeit zu gewinnen.
    »Und dann?« Ich machte ein nachdenkliches, leicht melancholisches Gesicht, als wäre ich noch Tage danach erschüttert, was Menschen einander antun konnten. Ich konnte mir in diesem Zusammenhang zwar alles Mögliche vorstellen, von Trickbetrügerei bis hin zum Raubmord an einer Rentnerin, wusste im aktuellen Fall aber immer noch nicht, was dieser brutale polnische Tourist, der seit mehreren Minuten quasi reglos in meiner Vorstellung verharrte, mit mir vorhatte. Es war mir schon öfters passiert, dass sich meine Vorstellung

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