Wollmann widersetzt sich: Roman (German Edition)
einfach verselbständigte. Eben stellte ich mir noch vor, wie ich am Strand lag, um mich herum Palmen und schöne Frauen – eine leichte Brise wehte, während die Sonne unterging und ich zum Sundowner neben mir griff – , als über dem Strand völlig unerwartet ein Bombergeschwader auftauchte und die Szenerie in ein Inferno aus Toten und nach Hilfe schreienden Verletzten verwandelte. Mittlerweile durchlebte ich angenehme Vorstellungen nur noch im Zeitraffer, was allerdings dazu geführt hatte, dass sich die entsprechenden Gefühle nicht mehr rechtzeitig einstellen konnten.
»Und was hat er denn nun gemacht?«, fragte Helga, ungeduldig auf dem Käsekuchen kauend.
»Er wollte mein Handy haben.«
»Dein Handy? Ich dachte, du hast überhaupt kein Handy.«
Sie hatte recht. Ich hatte überhaupt kein Handy, weil ich mich strikt weigerte, ständig erreichbar zu sein, auch wenn ich so gut wie nie angerufen wurde. Doch die wenigen Anrufe sollten mich auch nicht erreichen.
»Das von meiner Frau«, setzte ich schnell nach. Die Geschichte fing bereits an abzusaufen, ehe sie richtig in Fahrt gekommen war.
»Und dann?«
Zum Glück fragte sie nicht, wie das Handy meiner Frau in meinen Besitz gelangt war.
»Ich habe es ihm natürlich verweigert«, erklärte ich. »Aber das hat den Typen gar nicht beeindruckt.«
»Nein?« Helga sah mich fassungslos an, als müsste meine Verweigerung jeden Schurken automatisch zur Aufgabe seiner Forderungen zwingen.
Ich fühlte mich wieder leicht im Aufwind. Und dann machte ich einen schweren Fehler.
»Er hat mich am Hemd gepackt, und da habe ich ihm so eine gelangt, dass er umgefallen ist und sich nicht mehr bewegt hat.«
Helga aß ihren Kuchen in Ruhe zu Ende, was mich angesichts der Dramatik doch etwas stutzig machte.
Nachdem sie mit Kaffee nachgespült hatte, schlug sie ein Bein über und fixierte mich.
»Und wie ist das dann mit deinem Auge passiert?«
Das war ein gutes Argument, wie ich zugeben musste. Aber der Pole, der inzwischen reglos am Boden lag, kam für einen Gegenschlag zweifellos nicht mehr infrage. Meiner Geschichte schien der endgültige Untergang bereits sicher, als ich auf die glorreiche Idee kam, einfach einen zweiten Polen dazuzuerfinden. Just in dem Augenblick kam der zweite Pole, vermutlich ein Kumpel, auf mich zu und schlug mir hemmungslos ins Gesicht.
»Ich hatte gar keine Möglichkeit mehr, mich zu wehren«, rief ich und befingerte meine Verletzung.
»Die Menschen werden immer brutaler«, sagte Helga kopfschüttelnd und blickte mich bedauernd an. Das animierte mich, ihr gleich auch noch meinen Krankenhausaufenthalt in kräftigen Farben zu schildern, obwohl ich die Mitleidsschiene ursprünglich hatte vermeiden wollen.
»Im Krankenhaus bin ich sofort in die Notaufnahme gekommen, mein ganzes Gesicht war blutig.«
»Du hast ja wirklich was mitgemacht.«
Ich sah betroffen zu Boden.
»Heutzutage kann man froh sein, wenn man draußen überlebt«, ergänzte sie bitter.
»Ich hätte blind sein können«, sagte ich erschüttert.
»Hoffentlich hast du nicht einen Hirnschaden. Eine Freundin von mir ist mal mit dem Kopf gegen die Tischkante geprallt, einige Wochen später hat sie einen Schlaganfall bekommen, weil sich da irgendwas gelöst hat.«
»Mein Arzt meinte, ich solle mich vorsorglich röntgen lassen.«
»Es kann sich immer was lösen. Man steckt ja nicht drin im Kopf.«
»Seit einigen Tage habe ich hier starke Schmerzen«, sagte ich mit schmerzverzerrtem Gesicht und deutete auf einen Punkt direkt über dem Auge.
Helga wirkte jetzt ernstlich besorgt, was mir seltsamerweise guttat. Nach all den kräftezehrenden Anstrengungen, männlicher zu sein, fühlte ich mich durch ihr Mitleid kurzzeitig entlastet. Durch meinen Körper ging ein Aufatmen, als dürfte ich für einen Moment wieder ich selbst sein. Ich fragte mich, warum mir das in Gegenwart von Jutta nicht mehr gelang. Vielleicht, weil sie etwas von mir erwartete, von dem sie selber nur diffuse Vorstellungen hatte. Ich fühlte mich an der empfindlichsten Stelle getroffen, der, als Mann den Erwartungen seiner Frau nicht zu genügen.
»Versprich mir bitte«, sagte Helga, »dass du dich untersuchen lässt. Wir wollen ja nicht, dass du im Rollstuhl sitzt.«
Ich überlegte gerade, ob der Rollstuhl ein geeigneter Ausweg aus der Krise sein könnte, in die ich zunehmend hineinzugeraten schien, als ich hinter mir plötzlich Jutta bemerkte, die ohne ein Wort zu sagen mit der kleinen Handgießkanne aus der
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